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Radio als Instrument der Politik:
Die Rundfunkpläne des RMI 

Waren es im RPM hauptsächlich wirtschaftliche Erwägungen gewesen, die trotz sicherheitspolitischer Bedenken schließlich doch zur Vorbereitung eines Rundfunks für die Allgemeinheit geführt hatten, so bestand im RMI vor allem Interesse an einer Nutzung der inhaltlichen Vermittlungsmöglichkeiten des neuen Mediums. Anders als die Post, die durch eine indirekte Beteiligung an den Sendegesellschaften und die vorgesehene Vorzensur nur passiv-kontrollierend auf die Programmgestaltung einzuwirken plante, wollte man im RMI – direkt oder mittels einer eigenen Programmgesellschaft – aktiv auf die inhaltliche Gestaltung des Rundfunks Einfluß nehmen und verlangte daher, selbst

"(…) zum Zwecke der Propaganda für den neutralen Staatsgedanken und zur Wahrung von Reichsinteressen an einer derartigen Gesellschaft beteiligt (zu) sein."[*]

Das plötzliche Interesse des RMI an dem neuen Medium kam dabei keineswegs von ungefähr, sondern war eine Reaktion auf die schon Jahre andauernde, durch Inflation, Massenarbeitslosigkeit und politische Unruhen gekennzeichnete wirtschaftliche und politische Krise der Republik, die unter der Regierung des parteilosen Großindustriellen W. Cuno im Sommer 1923 ihrem Höhepunkt zustrebte. Der von der Regierung ausgerufene "nationale, passive Widerstand" gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets war mittlerweile praktisch gescheitert. Der zu Maßstab für die galoppierende Inflation gewordene Dollarkurs, der bereits zu Beginn des Jahres 20.000 Mark notierte, war nach anfänglicher Stabilisierung ab April des Jahres endgültig in die "Regionen der Milliarden"[*] emporgestiegen.

"Es kamen in Deutschland die wahnwitzigen Monate, in denen man für ein Brot Papierscheine hingeben mußte, auf denen Milliarden oder gar Billionen aufgedruckt waren. Tatsächlich hatte das deutsche Reichsgeld jeden Wert verloren. Die (…) Nutznießer der Inflation, die Finanzspekulanten, Großindustriellen und Großgrundbesitzer hatten goldene Zeiten. (…) Die Opfer der Inflation waren die deutschen Mittelschichten, die Lohn- und Gehaltsempfänger."[*]

Diese wirtschaftliche Misere bestimmte natürlich nachhaltig auch das politische Klima in der Öffentlichkeit und stellte die sozialistenreine Regierung Cuno, und mit ihr die gesamte Gesellschaftsordnung der Republik, vor ernsthafte Legitimationsprobleme. Der Zeitgenosse und Historiker A. Rosenberg charakterisiert die politische Situation im Sommer 1923 rückblickend gar als vorrevolutionär:

"Es hat nie in der neueren deutschen Geschichte einen Zeitabschnitt gegeben, der für eine sozialistische Revolution so günstig gewesen wäre, wie der Sommer 1923. (…) Nicht allein die gesamte Arbeiterschaft empfand von Tag zu Tag deutlicher, daß die Zustände untragbar waren und daß dieses ganze System ein Ende mit Schrecken nehmen müsse, auch der durch die Inflation ausgeraubte Mittelstand war von revolutionärer Gärung erfüllt und wünschte eine Abrechnung mit dem kapitalistischen Schiebertum."[*]

In dieser kritischen Lage mußte dem RMI der in der Funkabteilung der Post vorbereitete Rundfunk für alle als eine willkommene Möglichkeit erscheinen, um die Öffentlichkeit zugunsten des "neutralen Staatsgedanken" und damit letztlich auch zugunsten der diesen Staat verkörpernden Regierung zu beeinflussen. Nachdem man schon zu Beginn der Rundfunkplanung durch das Beharren auf ausschließlich staatlichen Sendebetrieb hierfür die ersten Voraussetzungen geschaffen hatte (vgl. [*] ff.), galt es jetzt, eine Organisationsform für den Rundfunk durchzusetzen, die der Reichsregierung nicht nur die Kontrolle über das neue Medium sicherte, sondern auch eine, für die Öffentlichkeit möglichst unsichtbare positive Einflußnahme auf die Gestaltung der Programminhalte. So hieß denn auch in einem, den Einspruch seiner Behörde erläuternden Schreiben des RMI an seinen Kollegen im RPM vom Juli 1923 deutlich:

"Seit der Staatsumwälzung hat sich immer mehr der Mangel fühlbar gemacht, daß die Reichsregierung nicht über den nötigen Apparat verfügt, um ihre Meinung in der Öffentlichkeit zum Ausdruck zu bringen. (…) die deutsche Regierung (besitzt) im Unterschied von den Regierungen aller anderen europäischer Länder überhaupt kein offizielles Organ mehr, auf das sie mit Bestimmtheit rechnen kann. Ich muß unter diesen Umständen unbedingt Wert darauf legen, daß alle noch verbleibenden Möglichkeiten hier einen Ersatz zu schaffen, nicht an irgendwelche Privatgesellschaften, deren Einstellung zur jeweiligen Reichsregierung zweifelnd und schwankend ist, vergeben, sondern in erster Linie für das Reich und seinen Einfluß selbst ausgenutzt werden."[*]

In der von Bredow geleiteten Funkabteilung des RPM traf dieses Verlangen allerdings auf erheblichen Widerstand. Auch hier war die Zuspitzung der politischen Krise der Republik zwar nicht unbemerkt geblieben, anders als im RMI ging man in der Funkabteilung des RPM jedoch davon aus, daß in dieser Situation eine "politische Betätigung den Zusammenbruch des Rundfunks bedeutet"[*] und bestand auf Unabhängigkeit des Mediums:

"In einer Zeit, in der die Parteipolitik das öffentliche Leben vergiftete und alles drunter und drüber ging," – so Bredow später – "hielt ich es für notwendig, den Rundfunk von Regierungen und politischen Parteien möglichst unabhängig zu machen."[*]

Diese Unabhängigkeit schloß zwar, wie bereits erläutert, eine staatliche Vorzensur der Programme keineswegs aus; eine aktiv inhaltlich-gestaltende politische Einflußnahme auf den Rundfunk wollte man dem RMI jedoch nicht zubilligen, da man hierdurch die eigenen finanziellen Interessen gefährdet sah. Auch die Zusicherung des RMI, "im Anfang wolle man damit sehr zurückhaltend sein und später auch nur ganz vorsichtig vorgehen, um die Hörer nicht zu verärgern"[*], vermochte die Haltung des RPM nicht zu verändern. Statt dessen plante man hier zwischenzeitlich sogar, einen "reinen Unterhaltungsrundfunk unter Ausschluß von Pressemeldungen und Verbreitung politischer Nachrichten"[*] einzurichten.


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