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Der erste Kompromiß:
Die Berliner Rundfunkordnung vom Oktober 1923
Erst nach monatelangen Verhandlungen zwischen beiden Ministerien, dem Sturz der Regierung Cuno und der Bildung der Großen Koalition unter Gustav Stresemann, konnte sich das RMI dann schließlich doch mit seinen Vorstellungen durchsetzen. Über den Kopf Bredows und seiner Abteilung hinweg einigten sich die beiden neuen Minister, der Sozialdemokrat Sollmann und der Zentrumsabgeordnete Höffle, Anfang Oktober 1923 darauf, sich die behördliche Einflußnahme auf das Rundfunkprogramm zu teilen:
Während die vom RPM kontrollierte Deutsche Stunde mit ihren Tochtergesellschaften nur für die Produktion musikalischer und literarischer Sendungen zuständig sein sollte, erhielt eine dem RMI nahestehende und mit Staatsgeldern aus dem Fond zum Schutze der Republik finanzierte Gesellschaft, die Drahtloser Dienst, AG für Buch und Presse (DRADAG) das alleinige Recht zur Herstellung und Ausstrahlung von Tagesnachrichten und Programmen politischen Inhalts. Beide Gesellschaften schlossen noch am 12. Oktober 1923 einen dementsprechenden Durchführungsvertrag über die ihnen zu erteilenden Rundfunkkonzessionen und konnten daraufhin schon am 29. Oktober, zunächst sogar ohne einen Konzessionsvertrag den regelmäßigen Sendebetrieb für Berlin und Umgebung aufnehmen.
Knapp einen Monat später, am 24. November 1923, erhielten die beiden Urgesellschaften des deutschen Rundfunks dann von der RTV die formelle Konzessionen, die zunächst ebenfalls nur für Berlin und Umgebung galten und abgesehen von der Tatsache, daß neben der Deutschen Stunde jetzt auch eine dem RMI nahestehende Gesellschaft zugelassen wurde, im wesentlichen dem Rundfunkkonzept des RPM vom Frühjahr 1923 entsprachen. So blieben die Sendeanlagen, wie vorgesehen, Eigentum der RTV und beide Gesellschaften bzw. von ihnen zu gründende Tochterunternehmen hatten das produzierte Programm einer staatlichen Kontrolle zu unterziehen. Die vom RPM ursprünglich geplante Vorzensur war in den Verträgen allerdings auf die politischen Programmteile beschränkt worden; das übrige Programm sollte jetzt nur noch unter Umständen von einem durch die RTV zu bestellenden Beirat überwacht werden:
"Als Nachrichten allgemeinen Inhalts gelten Vorträge und Vorführungen musikalischer und literarischer Art; Tagesnachrichten sowie Darbietungen politischer Art sind nur mit besonderer Genehmigung der zuständigen Stellen zugelassen. (…) Die RTV behält sich vor, der Geschäftsleitung der Gesellschaft einen Beirat beizuordnen, der die Aufgabe hat, den Dienst soweit er Darbietungen aus Kunst und Wissenschaft umfaßt, vom ästhetischen und kulturellen Standpunkt zu überwachen."
In den Konzessionsverträgen war darüber hinaus erstmals auch die Finanzierung der Programmproduktion genau geregelt. Die halbstaatlichen Rundfunkgesellschaften sollten hierzu einen Anteil der durch die RTV erhobenen Gebühren für die Genehmigung der privaten Empfangsanlagen der Hörer erhalten (vgl. Kapitel 3.1.), hatten gleichzeitig jedoch einen Teil des ihnen zugebilligten Gebührenanteils als Nutzungsgebühr für Sendeanlagen und technisches Gerät wieder an die RTV zurückzuzahlen. Ferner durften sie auch nur beschränkte, jährlich steigende Gewinne erwirtschaften und hatten darüber hinausgehende Erträge ebenfalls an die RTV abzuführen, "zur Weiterentwicklung der Funktechnik und des Rundfunkverkehrs".
Durch die Kombination von Ausführungsvertrag und Sendekonzession war so schon zu Beginn des regelmäßigen Programmbetriebs des sog. Unterhaltungsrundfunk ein Organisationsmodell entstanden, das nicht nur, wie noch das RPM-Konzept vom Frühjahr 1923, allein den wirtschaftlichen Interessen von Reichspost und Industrie Rechnung trug und politisch unerwünschte, staatsfeindliche oder gar revolutionäre Inhalte durch Überwachung ausschloß. Schon in dieser ersten, und wie sich noch zeigen sollte, erst halbfertigen Rundfunkorganisation der Weimarer Republik waren vielmehr auch die organisatorischen Voraussetzungen für eine aktive Rundfunkpropaganda von Regierung und Behörden geschaffen.
Dabei wäre es allzu kurzsichtig, dem hierin zum Ausdruck kommenden "positiven Interesse des Staates an der inhaltlichen Seite und (…) politisch publizistischen Aufgabe des (…) Rundfunks", wie etwa Soppe dies versucht, eine "parlamentarisch-demokratische Zielsetzung" zuschreiben zu wollen. Zwar konnte das staatliche Interesse, den Rundfunk als Propagandainstrument für Regierung und neutralen Staatsgedanken zu organisieren, erst von einem sozialdemokratischen Innenminister durchgesetzt werden, dem ein solches Verständnis sogar nahegelegen haben mag; Im Resultat wurde der Rundfunkorganisation jedoch mit der DRADAG eine politische Sendegesellschaft einverleibt, die gerade nicht durch das Parlament, sondern allein durch das Innenministerium und damit letztlich durch die Regierung kontrolliert werden sollte, also eine regierungsamtliche Nachrichten- und Propagandastelle war. Ebenso wurde auch die Zensur des Programms und die wirtschaftliche Kontrolle über die Deutsche Stunde als eher kulturellen Sendegesellschaft nicht etwa durch parlamentarische Gremien, sondern allein von Organen der Exekutive ausgeübt.
Und deren Vorstellungen von den Aufgaben, die das neue Medium erfüllen sollte, hatten, wie das im folgende zitierte Rundschreiben des RPM vom Dezember 1923 deutlich macht, weniger etwas mit parlamentarisch-demokratischen Zielsetzungen zu tun, als mit der Idee eines obrigkeitsstaatlichen Verlautbarungsrundfunks:
"Nunmehr ist der Unterhaltungs-Rundfunk ins Leben getreten, dessen Hauptaufgabe folgende sind:
1. Er soll weiteste Kreise des Volkes gute Unterhaltung und Belehrung durch drahtlose Musik, Vorträge und dergl. verschaffen.
2. Er soll dem Reich eine neue wichtige Einnahmequelle erschließen.
3. Durch die neue Einrichtung soll dem Reich und den Ländern die Möglichkeit gegeben werden, an große Kreise der Öffentlichkeit nach Bedarf amtliche Nachrichten auf bequeme Weise zu übermitteln; durch letzteres ist ein Weg beschritten, der für die Staatssicherheit von Bedeutung werden kann."
Charakteristisch für die erste deutsche Rundfunkorganisation war allerdings, daß der Einfluß der Reichsbehörden auf die Programmgestaltung vorerst nur mittelbar und dadurch für die Öffentlichkeit weitgehend nicht erkennbar organisiert worden war. Die Zensur des Programms war nicht etwa qua Gesetz oder Regierungsverordnung festgeschrieben worden, sondern nur Bestandteil der nichtöffentlichen Sendekonzessionen der Programmgesellschaften. Und auch der wirtschaftliche Einfluß der Behörden auf diese Gesellschaften war nicht durch eine offene Beteiligung des Reiches, sondern nur durch die Vermittlung von Treuhändern hergestellt worden: Für das RPM hielt nach wie vor der Legationsrat a.D. Ludwig Voss mindestens 50% der Stimmanteile an der Deutschen Stunde bereit; und der Einfluß des RMI auf die DRADAG bestand bislang nur mittels des Ministerialrats im RMI, Kurt Haentzel, der an dieser Gesellschaft persönlicher Anteilseigner war. Hinzu kam, daß die beiden Urgesellschaften des Rundfunks, an denen die Reichsbehörden mittelbar beteiligt waren, bei der Programmproduktion gar nicht selbst in Erscheinung traten, sondern diese, wie schon im September 1922 geplant, ab Dezember 1923 von den, zunächst noch als gemeinsame 51%-ige Tochterunternehmen von DRADAG und Deutscher Stunde gegründeten Regionalgesellschaften übernommen wurde.
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