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Die ersten Rundfunkpläne des RPM 

Ausgangsbasis für die Rundfunkplanung im RPM wurde ein Konzessionsantrag, der knapp eine Woche nach dem der Industrie, am 22. Mai 1922 bei der RTV einging. Antragsteller war diesmal die Deutsche Stunde, Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung m.b.H., die erst kurz zuvor als Tochterunternehmen der Eildienst GmbH von dem Bremer Kaffeefabrikanten und Kunstmäzen Roselius und dem ehem. Legationsrat im Auswärtigen Amt, Ludwig Voss gegründet worden war. Anders als die Industrie hatten Roselius und Voss das Kontrollbedürfnis des Staates von Anfang an in ihre Pläne mit aufgenommen und der Reichspost noch vor Antragstellung einen 50%-igen Stimmanteil an ihrem neuen Unternehmen eingeräumt. Zudem wollten sie sich ausschließlich auf die Herstellung des Programms für das neue Medium beschränken, das dann über den reichseigenen Sender Königs Wusterhausen ausgestrahlt und dem Publikum gegen Zahlung eines geringen, aber gleichwohl profitträchtigen Eintrittsgeldes nur "an öffentlichen Orten durch lautsprechende Telefone"[*] zugänglich sein sollte.

Dieses "Zentral"-oder "Saalfunkprojekt", das auch den Reichsbehörden zunächst zusagte,

"(…) da hier die Sendestelle unter Aufsicht des Reiches arbeitet und die einzelnen Empfangsstellen ohne größere Schwierigkeiten überwacht werden können (…)"[*] ,

erwies sich jedoch nach kurzer Zeit als unrealisierbar, da ein zentral produziertes Programm nach Auffassung des RPM unweigerlich auf den Widerstand der Länderregierungen gestoßen wäre, denen gemäß der Weimarer Verfassung die Kulturhoheit oblag. Zudem waren für einen Saalempfang, der den Interessen der Industrie ohnehin nicht gerecht geworden wäre, auch die technischen Voraussetzungen noch nicht gegeben, denn weder existierten für die in Schulen, Theatern oder Kinos geplanten Vorführungen geeignete Empfänger, noch hinreichend leistungsstarke Lautsprecher. Sowohl in Bezug auf die Programmproduktion, als auch hinsichtlich des Empfangs der Sendungen bedurfte das Konzept der Deutschen Stunde daher noch erheblicher Modifikationen.

Um dem befürchteten Einspruch der Länderregierungen vorzubeugen, kamen Reichspost und Deutsche Stunde noch im Spätsommer 1922 zunächst überein, die Programmproduktion zu regionalisieren und an neun zu gründende Tochtergesellschaften der Deutschen Stunde zu übertragen. Ebenso wie die Muttergesellschaft sollten diese Regionalgesellschaften unter privater Kapitalbeteiligung entstehen, wobei die Post allerdings, um Probleme mit den Programmen möglichst schon im Vorfeld auszuschließen, von den privaten Geldgebern verlangte, daß sie sowohl "angesehen", als auch "parteipolitisch unabhängig", vor allem aber "zuverlässig deutsch"[*] sein müßten. Darüber hinaus sollte die gewünschte Staatstreue des Rundfunks aber auch durch wirtschaftliche wie inhaltliche Kontrolle der Programmproduktion sichergestellt werden: Die Deutsche Stunde sollte sich, und damit auch der Reichspost bei allen Neugründungen eine Kapitalsmehrheit sichern und die von den Gesellschaften hergestellten Programme sollten vor ihrer Ausstrahlung von einer "durch die beteiligten Reichsbehörden einzurichtenden Prüfungsstelle" kontrolliert werden.[*]

Auf Grundlage dieser erweiterten Programmkonzeption kam es dann im Winter 1922/23 auch zu einer Neuregelung der Empfangsseite. Auf der einen Seite kamen Industrie und Deutsche Stunde überein, sich das Geschäft mit dem Rundfunk zu teilen: Während die Deutsche Stunde jetzt gemeinsam mit ihren Tochtergesellschaften allein für die Programmproduktion verantwortlich sein sollte (was für die Industrie ja ohnehin nur Mittel zum Zweck gewesen wäre), wollten die Funkunternehmen, deren Kreis auf Anraten der Post mittlerweile um die Huth GmbH erweitert worden war, ihre Aktivitäten ausschließlich auf den Bau der für einen regionalen Sendebetrieb notwendigen Sendeanlagen, sowie auf Herstellung und Verkauf von Geräten für den Individualempfang beschränken.

Gleichzeitig erklärten sich jetzt auch die Reichsbehörden zu einer – allerdings kontrollierten – Freigabe des Rundfunkempfangs bereit. In Verhandlungen zwischen RPM und Reichswehrministerium hatte man angesichts der vom Rundfunk erhofften Gewinne für die Staatskasse nämlich plötzlich herausgefunden, daß eine Geheimhaltung des nichtöffentlichen Funkverkehrs, anders als bislang behauptet auch nach einer Freigabe des Funkempfangs durch den Einsatz von Schnelltelegraphie und Chiffriermaschinen durchaus sicherzustellen war. Und andere Formen eines Mißbrauchs privater Empfangsanlagen hoffte man jetzt mit einer Novellierung des alten Telegraphengesetzes, in das "für Funkvergehen schärfere Strafbestimmungen"[*] eingefügt werden sollten, begegnen zu können.

Die Finanzierung des ganzen Projekts sollte nach den Plänen des RPM jetzt ausschließlich über Gebühren erfolgen, die die RTV – um auch die Gewinne für die Reichspost sicherzustellen – anstelle der von der Deutschen Stunde zunächst vorgesehenen Eintrittsgelder von allen Beteiligten erheben sollte: Von den Hörern für die Erteilung einer befristeten staatlichen Empfangsgenehmigung, von der Industrie für die Erlaubnis zum Bau und Verkauf der Empfangsgeräte und von den Programmgesellschaften für die Ausstrahlung ihrer Programme durch die RTV.

Nach knapp einjährigen Verhandlungen lag damit im Frühjahr 1923 erstmals ein Organisationskonzept für das neue Medium vor, das sowohl – durch den geplanten Individualempfang und die vorgesehenen Gebühren – den wirtschaftlichen Interessen von Industrie und Reich, als auch – durch die umfangreiche Kontrolle von Sender, Programm und Empfang – den sicherheitspolitischen Ansprüchen der Reichsbehörden durch gerecht geworden wäre (vgl. Abb. 1)

Trotzdem konnte der Rundfunk auch auf Basis dieses Organisationskonzepts noch nicht eröffnet werden, denn während im RPM bereits die ersten Konzessionsentwürfe ausgearbeitet wurden, Techniker von Post und Industrie über brauchbare, d.h. gegen Mißbrauch gesicherte Musterempfänger konferierte, und die Deutsche Stunde noch nach privaten Geldgebern für die Regionalgesellschaften Ausschau hielt, entdeckte im Mai 1923 plötzlich eine weitere Behörde ihr Interesse am Rundfunk und erhob in aller Form Einspruch gegen die Pläne der Post: das Reichsministerium den Inneren (RMI).

Abbildung:

Das Rundfunkkonzept des RPM vom Frühjahr 1923

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