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Vom Funk zum Rundfunk:
ein kurzer Überblick über die Vorgeschichte eines Massenmediums  

Als der Rundfunk in Deutschland[*] im Oktober 1923 "für die Öffentlichkeit freigegeben"[*] wurde, war das Kommunikationsmittel Radio schon mehr als 25 Jahre alt. Bereits 1896 hatte der italienische Physiker Guglielmo Marconi den ersten Funkentelegraphen entwickelt und damit die Möglichkeit geschaffen, allein mit Hilfe elektromagnetischer Schwingungen, also unabhängig von materiellen Informationsträgern, wie Papier oder Kabel, Nachrichten übermitteln zu können. Ein Jahr später waren mit Unterstützung durch Kaiser und Militär auch in Deutschland die ersten funkentelegraphischen Experimente durchgeführt worden. Und schon um die Jahrhundertwende konnten die Forschunglaboratorien der deutschen Elektroindustrie die ersten praktisch verwendbaren Funkanlagen an Heer und Marine liefern.[*]

Die Verfügungsgewalt über das neue Nachrichtenmittel lag in Deutschland, wie in den meisten europäischen Ländern, von Anfang an in der Hand des Staates. Rechtsgrundlage bildete dabei die bereits in Artikel 48 der Reichsverfassung von 1871 begründete Fernmeldehoheit des Reiches, die 1892 durch das Gesetz, betreffend das Fernmeldewesen des Reiches festgeschrieben worden war, und 1908, als der Stand der technischen Entwicklung dies zuließ, durch die sog. Funkgesetznovelle des Telegraphengesetzes auch explizit auf das Funkwesen ausgedehnt wurde. §3 dieser Gesetzesnovelle bestimmte:

"Elektrische Telegraphenanlagen, welche ohne metallische Leitungen Nachrichten übermitteln, dürfen nur mit Genehmigung des Reiches errichtet oder betrieben werden."[*]

Die Ausübung dieses Hoheitsrechtes oblag im zivilen Bereich dem Reichspostamt und für militärische Anlagen dem Kriegsministerium.

Eine Nutzung der neuen Nachrichtentechnik erfolgte im wilhelminischen Deutschland, vor dem Hintergrund des sich nach der Jahrhundertwende beständig zuspitzenden Kampfes der entwickelten kapitalistischen Staaten um die wirtschaftliche und territoriale Aufteilung der Welt, vor allem unter militärisch-strategischen Gesichtspunkten: Im militärischen Nachrichtenverkehr von Heer und Kriegsmarine, im amtlichen und militärischen Nachrichtenverkehr zu und innerhalb der deutschen Kolonien sowie – als einzigem zivilen Nutzungsbereich – im vornehmlich wirtschaftlichen Nachrichtenverkehr der Handelsmarine.[*]

Das Geschäft mit den Staatsaufträgen machten dabei hauptsächlich drei Unternehmen: Die 1903 auf Betreiben des Kaisers gegründete Telefunken GmbH, eine gemeinsame Tochtergesellschaft der beiden marktbeherrschenden Elektrogiganten AEG und Siemens & Halske; die C. Lorenz AG, die erst 1906 funktechnisches Gerät herzustellen begann; und die Dr. Erich F. Huth GmbH, die sich 1910 als vorerst letztes Unternehmen auf dem Markt etablieren konnte.

Ihren Höhepunkt erreichte die stark militärpolitische Ausrichtung des deutschen Funkwesens während des ersten Weltkriegs. Alle privaten und die wenigen, zuvor zivil genutzten Funkanlagen wurden bei Kriegsbeginn für militärische Zwecke beschlagnahmt. Das Genehmigungsrecht für Funkanlagen ging vom Reichspostamt, das jetzt nur noch Amtshilfe zu leisten hatte, vollständig auf das Kriegsministerium über. Unter dessen Führung entwickelte sich das Funkwesen endgültig zum strategischen und taktischen Kampfmittel, wobei die Nutzung der neuen Technik gleichzeitig beständig ausgeweitet wurde, so daß die Funkindustrie ihren ersten großen Boom erlebte:

"Der Fortfall fast aller finanziellen Hemmungen durch die Kriegswirtschaft stärkte das neue Nachrichtenmittel außerordentlich; kostspielige Einrichtungen und Versuche konnten ohne Rücksicht auf sofortige Rentabilität vorgenommen werden, so daß zahlenmäßig und räumlich unter ständiger Verbesserung der Technik eine starke Ausbreitung dieses Nachrichtenmittels erfolgte."[*]

Einhergehend mit der Ausweitung der unmittelbar militärischen Funknutzung entstanden im Rahmen der sog. psychologischen Kriegsführung während des Krieges auch die ersten Ansätze einer publizistischen Nutzung der neuen Technik: Die Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen sendete täglich Heeresberichte an alle, und die Übertragungsstationen Nauen, Eilverse und Norddeich verbreiteten – z.T. sogar mehrmals täglich – funkentelegraphische Pressedienste in alle Welt. Adressat dieser Funkpropaganda, die teils unter Reichskontrolle von der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Wolff’sches Telegraphisches Bureau, teils direkt von der Nachrichtenstelle des Auswärtigen Amtes zusammengestellt wurde, war vor allem die Presse der neutralen Länder, deren Berichterstattung auf diese Weise im Interesse der deutschen Kriegsziele beeinflußt werden sollte .[*]

Größere gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Organisation und Nutzung des Nachrichtenmittels Radio gab es in Deutschland erst bei Ende des Krieges – während der Revolution von 1918.[*] Am 9. November, demselben Tag, an dem Karl Liebknecht die sozialistische und Phillip Scheidemann die bürgerlich-demokratische deutsche Republik ausriefen, fiel das Nachrichtenwesen des Reiches endgültig in die Hand der Revolution: Das Wolff’sche Telegraphenbüro, der Nachrichtenknotenpunkt des Reiches, wurde zunächst von Spartakisten, dann von offiziellen Beauftragten des Großberliner Arbeiter- und Soldatenrats besetzt. Und mittels der Funkstation Königs Wusterhausen übernahm der Zentralsoldatenrat der Militärfunker, der erst kurz zuvor von technischen Mitarbeitern der Nachrichtentruppe gebildet worden war, die Leitung der zu diesem Zeitpunkt zumeist schon in Selbstverwaltung betriebenen militärischen Funkstationen.

Die Aktivitäten dieser Zentralfunkleitung (ZFL) zielten sowohl auf die unmittelbare Nutzbarmachung der Funkbestände des Reiches für die Ziele der Revolution, als auch auf eine grundlegende Umgestaltung des gesamten Funkwesens. Innerhalb weniger Tage gelang es ihr, die ehemals militärischen Anlagen zu einem von Militär und Postverwaltung unabhängigen Nachrichtennetz zusammenzufassen, so daß der Funk für die Räte, die in den Städten und Regionen zunächst nur dezentral organisiert waren, zu einem bedeutenden Koordinations- und Kommunikationsmittel werden konnte. Darüber hinaus verstanden sich ihre Aktivisten aber auch als "Vorkämpfer" eines eigenständigen, von der Postverwaltung und ihren "verkalkten Beamten" losgelösten "Reichsfunkdienstes"[*]. Dieser, so verlangten sie, sollte unter Einbeziehung der ehemaligen Militärfunker in "Selbstverwaltung der Beamtenschaft"[*] organisiert werden und so die Grundlage für eine zivile, den Zielen der Revolution angemessenen Nutzung der Funktechnik bilden.

Eine solche Umstrukturierung des Funkwesens konnte im weiteren Verlauf der Revolution jedoch nicht durchgesetzt werden. Nach einer gezielten Kampagne der konservativen Presse wurde die ZFL vielmehr in einen gemeinsamen Ausschuß verschiedener Reichsämter und Berufsvereinigungen "zur Ordnung des Funkwesens"[*] integriert, in dem die revolutionären Bestrebungen durch geschicktes Taktieren der beteiligten Reichsbehörden innerhalb zweier Monate weitgehend zurückgedrängt werden konnte. Zwar mußte die Kontrolle über den Funkverkehr im Januar 1919 zunächst – als Zugeständnis an die Forderungen der ZFL – noch einer neu gebildeten und formal von der Reichspost unabhängigen Reichsfunk-Betriebsverwaltung übertragen werden; zu Leiter dieser neuen Einrichtung konnte jedoch der ehem. kaufmännische Direktor der Telefunken GmbH, Hans Bredow ernannt werden, der – wie er später freimütig bekannte -

"(…a)n der Abwehr der revolutionären Funkerbestrebungen (…) im Interesse eines privaten Funkbetriebs – ganz abgesehen von meiner politischen Einstellung – natürlich besonders interessiert (war)."[*]

Gleichzeitig wurde Bredow von Seiten der Reichspost die Leitung der posteigenen Abteilung für Funkentelegraphie übertragen, so daß beide für das Funkwesen zuständigen Stellen jetzt demselben (Post-)Beamten unterstanden und dadurch eine Kontrolle der Post über das Funkwesen der Republik faktisch bereits wieder hergestellt war. Im April 1919, als die Wogen der Revolution sich weitgehend geglättet hatten, konnte die Reichsfunkbetriebsverwaltung dann problemlos auch formal der Postverwaltung wiederangegliedert werden.

Die eigentliche Gewinnerin bei dieser Reorganisation der staatlichen Funkhoheit war allerdings – mehr noch als die Post – die Funkindustrie, die jetzt, nach der Berufung eines ehem. Telefunkendirektors zum Leiter der Funkabteilung der Reichspost über einen Vertreter ihrer Interessen, zumindest aber über einen ihr wohlgesonnenen Ansprechpartner bei der für die weitere Entwicklung des Funkwesens zuständigen Reichsbehörde verfügte, so daß sich ihre Einflußmöglichkeiten auf die staatliche Politik in diesem Sektor gemessen an der Situation im wilhelminischen Deutschland erheblich erhöht hatte.[*]

Dieser Einflußzuwachs war für die Funkindustrie vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit von beträchtlichem Wert. Nachdem sie schon während des Kriegsbooms weitgehend aus dem internationalen Geschäft herausgedrängt worden war, hatte sie mit dem Ende des Krieges auch ihren, in erster Linie ja militärisch orientierten Inlandmarkt verloren. Zur Auslastung ihrer durch den Kriegsboom aufgeblähten Produktionskapazitäten und zur Ausweitung von Produktion und Verkauf, die für eine profitable Weiterentwicklung des Geschäftszweigs unerläßlich war, bedurfte die Funkindustrie jetzt neuer, ziviler Absatzmärkte im Inland, die auf Basis des staatlichen Funkmonopols jedoch nur durch eine Ausweitung der zivilen Funknutzung von Seiten des Staates geschaffen werden konnte.[*] Gerade hierfür aber bestanden nach Ernennung Bredows zu Leiter der Funkabteilung im Reichspostministerium (RPM) – wie dieser schon in seiner Antrittsansprache als Ministerialdirektor deutlich machte – durchaus günstige Voraussetzungen:

"(…) ich bin überzeugt, daß der Funk noch eine große Entwicklung vor sich hat, daß aber jetzt vor allen Dingen der Staat berufen ist, diese Entwicklung durch großzügige Anwendung des Funkverkehrs im öffentlichen Nachrichtenverkehr zu fördern. (… In meiner Stellung im RPM) kann ich für die Entwicklung des Funkverkehrs und damit indirekt auch für die gesamte deutsche Funkindustrie mehr leisten, als in meiner früheren einseitig orientierten Privattätigkeit."[*]

Auch erste Pläne für die hier in Aussicht gestellte "großzügige Anwendung des Funkverkehrs" lagen im RPM bereits vor. Sie waren auf Initiative Bredows noch während der Auseinandersetzungen um die ZFL in einer Denkschrift "über die Entwicklung und umfassende Ausgestaltung der drahtlosen Telegraphie"[*] zusammengefaßt worden und sahen neben einem verstärkten Einsatz der Funktechnik im zivilen Nachrichtenverkehr (Überseetelegrammdienst, Eisenbahnfunk,Schiffsfunk) erstmals auch eine zivile publizistische Nutzung des Mediums vor. Geplant waren hierfür u.a.:

"(-) Einrichtung von Empfangsanlagen zur Aufnahme der ausländischen Funkpublizistik. (…
-) Bereitstellung der zur funkentelegraphischen Verbreitung allgemeiner Nachrichten in Deutschland (politische Nachrichten, Handelsnachrichten, Börsenkurse, Wetterberichte, Zeitsignale, Propaganda usw.) erforderlichen Sendeanlagen.
-) Einrichtung möglichst einfacher Empfangsanlagen in den Geschäftsräumen von Behörden, Zeitungen, Banken, Industrieunternehmen usw. (sowie …
-) Private Funkanlagen für die Wirtschaft."[*]

Schon Soppe und Reiss/Zielinski[*] haben festgestellt, daß sich hier, in der publizistischen Nutzung der Funktechnik für die Funkindustrie die einzigen, auch langfristig gewinnversprechenden Entwicklungschancen im zivilen Bereich abzeichneten. Während die Nutzung des Funks als Nachrichtenmittel – bedingt durch die technisch begrenzte Zahl von Übertragungskanälen und das staatliche Funkmonopol – nämlich letztlich immer auf nur wenige Stellen (Behörden, einzelne lizenzierte Privatunternehmen etc.) beschränkt bleiben mußte und damit den Verwertungsinteressen des funkindustriellen Kapitals auf lange Sicht nur begrenzt gerecht werden konnte, bot seine publizistische Nutzung als Rund-Funk durch die ihr zugrunde liegende Trennung von Sende- und Empfangsseite grundsätzlich die Möglichkeit, tendenziell Alle als Empfänger von Funkübertragungen, und damit auch als Abnehmer von Funkgerät in die funktechnische Kommunikation mit einzubeziehen. Hierzu konnten die in der Postdenkschrift vorgesehenen funkentelegraphischen Exklusivdienste natürlich nur ein erste Schritte darstellen, aber:

"Von dem Gedanken, bestimmte Informationen von einem bestimmten Interessentenkreis zu empfangen zu lassen, konnte es nicht mehr weit sein bis zu der Überlegung, allgemein interessierende Nachrichten der Allgemeinheit zukommen zu lassen, also Ausdehnung des Empfangs auf potentiell alle."[*]

In den ersten Nachkriegsjahren waren solche Rundfunkdienste für die breite Allgemeinheit allerdings noch "Zukunftsperspektiven von Jules Verne’scher Kühnheit".[*] Zwar hatte die Industrie die technischen Voraussetzungen hierfür, nämlich die Möglichkeit, neben Morsezeichen auch Sprache und Musik auf drahtlosem Weg zu übertragen, weitgehend schon vor und während des ersten Weltkriegs entwickelt[*]; nach der Erfahrung des Funkerspuks während der Revolution und angesichts der auch danach zunächst noch instabilen politischen Lage der Republik wurde es jedoch oberstes Prinzip der staatlichen Funkpolitik, funktechnisches Gerät unter keinen Umständen in die falschen, womöglich revolutionären Hände geraten zu lassen. Eine Einrichtung von Funkdiensten für Alle, was gleichbedeutend gewesen wäre mit einer Freigabe des Funkempfangs für jedermann, war daher für die Reichsbehörden zunächst nur schwer vorstellbar:

"(…) eine allgemeine Freigabe der Benutzung von Empfangsapparaten zur Aufnahme beliebiger Nachrichten, wie sie in einzelnen Ländern erfolgt ist, in denen der Staat sich mit der Beförderung drahtloser Nachrichten im inneren Verkehr nicht befaßt, (hat – so das RPM im August 1919 in einem Pressebericht-) seine großen Bedenken, denn es würde damit jedermann technisch möglich sein, alle in der Luft befindlichen Nachrichten abzuhören."[*]

Diese ängstliche Haltung der Reichsbehörden, die abgesehen von einem 1920 eingerichteten Wirtschaftsfunkdienst auch die Exklusivfunkpläne der Post scheitern ließ[*], mußte mit der Zeit natürlich mit den Verwertungsinteressen der Funkindustrie, die langfristig ja gerade auf eine möglichst zahlreiche Verbreitung von funktechnischem Gerät gerichtet waren, in Konflikt geraten. Ebenso wie ihre europäische Konkurrenz zeigten die deutschen Funkunternehmen zunächst jedoch nur wenig Interesse an der Einführung eines Rundfunkdienstes für die Allgemeinheit, da man den Erfolg eines solchen Unternehmens eher skeptisch beurteilte[*]. Erst angesichts der wirtschaftlich vielversprechenden Rundfunkentwicklung in den USA, wo auf Initiative der dortigen Industrie schon Ende 1920 die ersten 30 regionalen privaten Rundfunkstationen entstanden und eineinhalb Jahre später bereits mehr als 700.000 Empfangsgeräte verkauft worden waren[*], wich die Skepsis der europäischen Funkwirtschaft rasch einem vehementen Interesse an der neuen Form der Funknutzung.

Im Juni 1921 begann in Frankreich die Sociétè Francaise Radioélektrique - zunächst versuchsweise – mit einer Reihe von Rundfunkübertragungen; im März 1922 beantragten in England nach mehrmonatigen Versuchssendungen gleich mehrere Unternehmen eine behördliche Genehmigung für regelmäßige Radiosendungen an alle[*]; und schließlich, am 16. Mai 1922 auch die deutsche Funkindustrie einen ersten Vorstoß in diese Richtung. Telefunken und Lorenz, die beiden ältesten Unternehmen der Branche, beantragten bei der Reichstelegraphenverwaltung (RTV) eine gemeinsame Bau- und Betriebskonzession für Rundfunksende- und Empfangsanlagen und teilten der Behörde mit, daß sie es angesichts der ausländischen Funkentwicklung

"(…) für ihre Pflicht (hielten), keine Zeit zu verlieren, um in Deutschland die Vorbedingungen zu schaffen, die es dem Publikum ermöglichen sollten, von den Vorteilen eines Broadcasting-Dienstes Gebrauch zu machen."[*]

Den Aufbau und Betrieb des neuen Dienstes wollten beide Unternehmen in eigener Regie und auf eigene Kosten übernehmen, wobei man bei der Produktion des auszustrahlenden Programms allerdings auf die Unterstützung der Schallplattenindustrie rechnete. Der Empfang sollte wie in den USA für die Hörer kostenlos sein, denn auch hier versprach man sich das eigentliche Geschäft mit dem Broadcasting von dem Verkauf der notwendigen Empfangsgeräte, die beide Unternehmen unter Ausschluß der Konkurrenz gemeinsam vertreiben wollten.

Bei den zuständigen Reichsbehörden traf dieser Vorstoß der Funkunternehmen auf durchaus fruchtbaren Boden. Zwar wurde ihr Antrag letztlich abgelehnt, da vor allem Reichswehr- und Reichsministerium des Inneren darauf bestanden, daß die Sendeanlagen für einen allgemein zu empfangenden Rundfunk unter allen Umständen in der Verfügungsgewalt des Staates bleiben müßten. Auch bestanden bei den Behörden nach wie vor starke sicherheitspolitische Bedenken

"(…) wegen der Gefahren, die eine ausgedehnte Verbreitung von Empfangsanlagen, die entweder überhaupt nicht oder doch nur mit erheblichen Schwierigkeiten kontrolliert werden können, für die Abwicklung des normalen Nachrichtenverkehrs bringt."[*]

Zugleich wurde jedoch, vor allem in der von Bredow geleiteten Funkabteilung des RPM, auch ein staatseigenes Interesse an einem Rundfunk für Alle geweckt, so daß die Errichtung eines solchen Dienstes jetzt – allen sicherheitspolitischen Bedenken zum Trotz – behördlicherseits in Angriff genommen wurde.

Ausschlaggebend für diesen Gesinnungswandel der Behörden waren dabei vor allem zwei Motive:

Zum einen hatte man angesichts des Konzessionsantrags der beiden Funkunternehmen auch im RPM erkennen müssen, daß den Verwertungsinteressen der Industrie auf Dauer kaum mit bloßem Beharren auf sicherheitspolitischen Befürchtungen wirkungsvoll begegnet werden konnte. Schon im Interesse einer Schadensbegrenzung mußte es daher angeraten erscheinen, selbst den Aufbau eines Rundfunkdienstes für die Allgemeinheit in Angriff zu nehmen, der sowohl den Interessen der Industrie, als auch denen des Reiches gerecht würde. Bereits in der ersten Stellungnahme des RPM zum Konzessionsantrag der Industrie hieß es daher:

"Nach dem Vorgehen in anderen Ländern (…) wird eine völlige Ablehnung der ganzen Idee aber kaum möglich sein; man wird sich vielmehr darauf beschränken müssen, die Sache in Deutschland von vornherein so aufzuziehen, daß die Interessen des Reiches gewahrt bleiben und eine Entwicklung, wie sie Amerika erlebt, unmöglich gemacht wird."[*]

Mindestens ebenso maßgebend wie die Möglichkeit einer Interessenwahrung dürften für den Gesinnungswandel der Behörden jedoch die wirtschaftlichen Erwartungen gewesen sein, die man mittlerweile auch im RPM in die Einführung eines Rundfunks für Alle setzte. Bredow selbst jedenfalls war von dem finanziellen Nutzen eines Rundfunkdienstes für die Staatskasse überzeugt und noch während der Beratungen über den Industrieantrag rechnete er seinen Kollegen aus den anderen Ministerien vor:

"Um aus der Bewegung für das Reich Vorteile zu ziehen, müßte für jeden zu liefernden Apparat eine bestimmte Gebühr dem Reich zugeführt werden."[*]

Auch auf Seiten des Staates waren es mithin nicht zuletzt wirtschaftliche Motive, die für die Einführung eines Rundfunks für die Allgemeinheit ausschlaggebend waren. Im Laufe seines weiteren Organisationsprozesses sollten sie zwar noch durch handfeste politische Interessen an den inhaltlichen Vermittlungsmöglichkeiten des neuen Dienstes ergänzt werden; gerade für den Beginn der Rundfunkentwicklung der Weimarer Republik erweist sich die Feststellung Reiningers aus dem Jahre 1926 jedoch als durchaus zutreffend:

"Die Einführung des Rundfunks in Deutschland war (…) sowohl in den wirtschaftlichen Interessen der Deutschen Reichspost wie auch in denen der Industrie begründet. Der kulturelle und pädagogische Wert des Rundfunks, von dem später soviel geredet und geschrieben wurde, hat damals jedenfalls keine nennenswerte Rolle gespielt."[*]


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