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Wenn die Umgruppierung der Führungsstrukturen des ARBD auch nicht unmittelbar zur Revision der rundfunkpolitischen Positionen des Vereins führten, bedeutete dies freilich nicht, daß eine solche Revision nicht noch stattfinden sollte. Voraussetzung hierfür war jedoch, daß zunächst einmal innerhalb der Sozialdemokratie selbst rundfunkpolitische Grundpositionen festgelegt wurden. Dies geschah Ende Mai 1927 auf der Reichsbildungskonferenz der SPD in Kiel, auf der in Anschluß an ein Referat Artur Crispiens über die "Stellung der Arbeiterschaft zum Rundfunk" für die sozialdemokratischen Kulturorganisationen verbindliche "Richtlinien" der Rundfunkpolitik verabschiedet wurden.
In diesen "Richtlinien" wird der Rundfunk. in erster Linie als ein "Mittel der Massenbeeinflussung und Propaganda" also als politisches Instrument und nicht als ‘Bildungsfaktor’ betrachtet; denn:
"Sein Bildungswert ist (…) nur bedingt anzuerkennen, da eine tiefere Wirkung von seinen Darbietungen (…) in ihrer heutigen Form infolge ihrer Flachheit und Planlosigkeit nicht ausgehen kann."
Ähnlich wie Ende 1926 im NRF ist dabei auch in den "Richtlinien" die Betrachtung des Mediums als politisches Instrument mit der Forderung nach seiner "Überparteilichkeit und politische(n) Neutralität" verknüpft, wobei Neutralität auch hier keineswegs als unpolitische Programmgestaltung verstanden wird, sondern:
"Seine politische Neutralität ist so zu verstehen, daß er alle Richtungen und Parteien zu Wort kommen läßt und keine bevorzugt."
Anders als in den Beiträgen des NRF ist dieses ‘Zu-Wort-Kommen’ politischer und weltanschaulicher Positionen in den "Richtlinien" jedoch nicht unbedingt wörtlich zu verstehen. Gefordert wird nur eine angemessene Berücksichtigung der Arbeiterschaft in den Programmen.
"In ideeller und kultureller Hinsicht ist zu fordern, daß er (der Rundfunk; d. Verf.) die Interessen und Anschauungen der Arbeiterschaft, die den weitaus größten Teil der Hörer stellt, in seinen Darbietungen gebührend berücksichtigt."
Auch von einer Forderung nach eigenständigen Arbeitersendern, wie sie ein halbes Jahr zuvor auf der Blankenburger Konferenz ja noch durchaus diskutabel schien, ist in diesen Richtlinien nicht mehr die Rede. Statt dessen sollen sich die rundfunkpolitischen Aktivitäten der sozialdemokratischen Organisationen jetzt ganz auf eine Einflußnahme auf die Programmgestaltung des Weimarer Rundfunks, oder wie es in den "Richtlinien" heißt, auf die "Mitarbeit (…) am Rundfunk" beschränken, die "unter allen Umständen" geboten sei, damit der Rundfunk nicht einseitig kapitalistisch bürgerliche Interessen, sondern auch der sozialistischen Idee- und Gefühlswelt nutzbar gemacht wird."
Schon der hier gewählte Begriff der "Mitarbeit" läßt dabei den Unterschied zu den im Vorjahr im NRF formulierten Positionen deutlich werden: Während dort der bürgerliche Charakter des Weimarer Rundfunks zumeist schon daran festgemacht wurde, daß die Arbeiterschaft von der Programmgestaltung ausgeschlossen blieb, erscheint das Medium hier als eine Institution, die zwar einseitig von kapitalistisch-bürgerlichen Interessen in Dienst genommen ist, die an sich – durch die staatsnahe Form ihrer Organisation – jedoch eher über den Klassen steht. Zur Wiederherstellung seiner Neutralität wird daher in den "Richtlinien" – im Unterschied zum NRF – nicht etwa eine "Reform an Haupt und Gliedern" verlangt, auch nicht ein "Mitbestimmungsrecht der Arbeiterschaft an der Programmgestaltung". Als erforderlich, und mithin auch möglich, wird hier nur die "Mitarbeit der Arbeiterschaft am Rundfunk" erachtet, und zwar in dreifacher Hinsicht:
"(…) a) durch eine systematische Radiokritik in der Arbeiterpresse,
b) durch die Mitwirkung von Vertretern der Arbeiterschaft in den Überwachungsausschüssen und Kulturbeiräten,
c) durch die Tätigkeit besonderer Rundfunkausschüsse für die Programmgestaltung."
Auch das Bild, daß in den "Richtlinien" von der konkreten Gestaltung dieser Mitwirkungsformen der Arbeiterschaft am Rundfunk – vor allem in den letzten beiden Punkten – gezeichnet wird, entspricht der skizzierten Grundhaltung zu dem Medium. So werden die Kulturbeiräte und Überwachungsausschüsse - ähnlich wie anfangs im NRF – als eine "wenn auch noch völlig ungenügende Form der Vertretung der breiten Hörermasse" gewertet, die ein "Gegengewicht gegen die Übermacht der Sendeleitungen" darstellen könne. Hatten die Autoren des NRF mit der Zeit aber wenigstens in Bezug auf die Kulturbeiräte erkannt, was diese staatlichen Zensur- und Aufsichtsgremien von Vertretungsorganen der Hörerschaft unterschied (nämlich die Tatsache, daß ihre Zusammensetzung nicht von den Hörern sondern von den Regierungen bestimmt wurde, sie damit auch nicht den Hörern sondern höchstens den Regierungen verantwortlich waren) und eine entsprechende Umgestaltung dieses Gremiums gefordert, so beschränkten sich die Reformvorstellungen der "Richtlinien" ausschließlich auf eine Kompetenzerweiterung der Kulturbeiräte, ohne daß danach gefragt wurde, wer denn über dieses Mehr an Kompetenz letztlich verfügen könne:
"In erster Linie" so heißt es hier "ist für die Kulturbeiräte eine Erweiterung ihrer Rechte und Aufgaben zu fordern, damit sie entscheidenden Einfluß auf die Programmgestaltung erlangen."
Ähnlich harmonisch, wie das Zusammengehen von Regierungs- und (Arbeiter-) Hörerinteressen in den Kulturbeiräten gestaltet sich in den "Richtlinien" auch die Zusammenarbeit der Arbeiterprogrammausschüsse mit den Sendeleitungen. Zwar ist hier – das einzige Mal in den "Richtlinien" überhaupt - davon die Rede, daß es etwas "durchzusetzen" gelte, nämlich die Aufnahme der von den Ausschüssen aufgestellten Programmvorschläge in das Sendeprogramm. Auch hier ist man jedoch weit davon entfernt, ein formelles Mitbestimmungsrecht der Hörerschaft an der Programmgestaltung zu fordern. Vielmehr gehen die "Richtlinien" davon aus, daß eine Durchsetzung der Programmvorschläge auch ohne einen formellen Rechtstitel, durch geschickte, d.h. von den Arbeiterorganisationen einheitlich geführte "Verhandlung mit den Rundfunkdirektionen" möglich sei:
"Als wichtigste Aufgabe der Arbeiterorganisationen ist die positive Mitarbeit am Rundfunk durch Aufstellung geeigneter Programme anzusehen, (…) Zur Vorbereitung dieser Programme sind (…) von den Arbeiterkulturkartellen und Arbeiter-Bildungsausschüssen besondere. Rundfunkausschüsse einzurichten, die die Verbindung zwischen den Arbeiterorganisationen und den Rundfunksendern herzustellen haben (…) und die ausschließlich und einheitlich die Verhandlungen mit den Rundfunk-Direktionen zu führen (…) haben. Unter allen Umständen muß verhindert werden, daß die einzelnen Organisationen gesondert mit den Sendeleitungen verhandeln, weil diesen dadurch die Möglichkeit gegeben wird, die Organisationen gegeneinander auszuspielen."
Darüber hinaus bekräftigen die "Richtlinien" nochmals den rundfunkpolitischen Führungsanspruch des Sozialistischen Kulturbundes, auch gegenüber dem jetzt sozialdemokratisch geführten ARBD. Zwar wurde der Verein jetzt "(g)egenüber den Bemühungen der bürgerlichen Radiovereine" als die "für die sozialistische Arbeiterschaft in Betracht kommende Radio-Organisation" bezeichnet, die auch zur "Mitarbeit, insbesondere in den Rundfunkausschüssen" herangezogen werden sollte; aber:
"Soweit eine zentrale Bearbeitung der Rundfunkfragen in Betracht kommt, wird sie dem Sozialistischen Kulturbund übertragen."
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