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  Radio als politischer Weltspiegel

Blieb die Aufgabe des Rundfunks in den dargestellten Konzepten eines proletarischen Kulturfunks immer auf die Vermittlung von Kultur, Bildung und Erziehung beschränkt, so daß das Medium – wenngleich diese Begriffe z.T. schon recht weit gefaßt waren - hier zumeist nur als eine neue Bildungsinstitution erschien, die die formalen oder inhaltlichen Unzulänglichkeiten der bereits bestehenden Institutionen dieser Art (beschränkter Zugang, falsche, weil bürgerliche Inhalte) kompensieren sollte, so zeichnet sich die Vorstellung vom Radio als Weltspiegel vor allem dadurch aus, daß diese, der Maxime vom ,unpolitischen Unterhaltungsrundfunk’ entlehnte Beschränkung fehlt. Das Radio wird hier vielmehr als ein, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aufgreifendes "Informationsmittel"[*] verstanden, dessen Programme "Teile einer Weltdarstellung"[*] sein sollen. "Rundfunk", so bringt Klaus Neukrantz diese Vorstellung von einem ,anderen’ Radio im Dezember 1926 auf den Begriff, "(…) als die große moderne Reportage unserer Zeit."[*]

Erstmals formuliert wird sie im NRF allerdings schon im Juni des Jahres unter dem Titel "Wozu Unterhaltungsrundfunk" von einem unter dem Pseudonym "Megaphon" schreibenden Autor[*]. Sein Beitrag zeigt noch deutlich, wie wenig selbstverständlich es offenbar auch in den Kreisen der Arbeiterfunkfreunde war, das Radio als ein, eher der Presse, denn mit Schule, Theater und Konzertsaal vergleichbares Medium zu begreifen. So liest es sich beinahe wie der Bericht einer großen Entdeckung, wenn Megaphon hier feststellt, "(…) daß man von zwei ganz entgegengesetzten Gesichtspunkten aus den Wert des Rundfunks beurteilen kann", und statt ihn nur als "Ersatz" für andere Kultur- und Bildungsinstitutionen zu sehen,‘’(…) auch eine gänzliche andere Beurteilung möglich (ist)."[*]

"Wir sehen ihn zunächst als neues technisches Mittel an, gleichsam als Material, das vom Programm erst noch gestaltet werden soll, und müssen daher vor allem die spezifischen Möglichkeiten dieses Materials und seine inneren Gesetze untersuchen. Es ist ganz falsch, von Anfang an Vergleiche anzustellen, inwiefern Ähnlichkeiten mit dem Theater usw. vorhanden sind. (…) Die neue Technik ist vorerst nur eine Form, von der noch gar nicht feststeht, ob sich in ihr wirklich die Dinge repräsentieren können, die uns als ’Kunst’ schon etwas zu geläufig sind."[*]

Tatsächlich kommt Megaphon bei seiner ‘Untersuchung’ des ‘Materials’ sogar zu dem Ergebnis, daß eher das Gegenteil der Fall ist. Angesichts der qualitativen Mangel der – damals erst auf Lang- und Mittelwelle möglichen – Radioübertragungen, die ’’(…) erst in den letzten Wochen wieder der Wirkung manches Abends den Garaus gemacht (haben)"[*], sei das Medium für andere Dinge vielmehr besser geeignet:

"Wir sehen zunächst nur die Möglichkeit, das Wort und die Rede unter besonders günstigen Umständen von den verschiedensten Stellen aus zu übertragen. Wir sehen außerdem, daß ein Rundfunkprogramm in seiner Wirkung auf die Hörer nicht – wie Film, Theater, Vorträge, Konzerte – auf einzelne Stunden beschränkt ist, sondern den ganzen Tag umfaßt und sich tagtäglich fortsetzt. Daraus ergibt sich eine Stoßkraft, eine Intensität, die nur mit der einer Tageszeitung annähernd verglichen werden kann. (…) Gerade durch die fortgesetzte Kette ist es möglich, das Weltgeschehen umfassend darzustellen. (…) In diese Aufgabe des neuen Rundfunks müssen sich notwendig auch alle anderen Momente des Programms einordnen, ob Schauspiel, Oper, Konzert oder Vortrag."[*]

Das wesentliche Moment dieser Funktionsbestimmung des Rundfunks als Weltdarstellung ist dabei der – in der hier konstatierten "Analogie zur Tageszeitung"[*] bereits angelegte – Einbezug auch des politischen Weltgeschehens als ein im Rundfunk darzustellendes. Schon Megaphon begreift es so als Aufgabe des Radios, neben "Kongressen, Gerichtsverhandlungen, Vorträgen usw."[*] auch politische Veranstaltungen, wie z.B. die Sitzungen bedeutender Reichstagsausschüsse ("Femeausschuß") zu übertragen, wenngleich er hierin auch noch nicht unbedingt den Schwerpunkt radiophoner Weltdarstellung sieht. Im Unterschied zur Zeitung hat der Rundfunk in seinen Augen vielmehr "(…) seinen Rahmen (…) viel weiter gespannt, so daß er alles geistige Leben in seine kontinuierliche Darstellung mit einbezieht."[*]

In den späteren Beiträgen über das Radio als Weltdarstellung wird die Forderung nach politischen Programmen jedoch endgültig in den Mittelpunkt gestellt. Schon in einem, ursprünglich in der "Weltbühne" erschienenen Artikel Kurt Tucholsky’s, der im August 1926 im NRF nachgedruckt wurde, heißt es z.B. "Was wir brauchen, ist der politische Rundfunk."[*] Und in den folgenden Ausgaben der Zeitschrift wird diese Forderung auch von Julian Borchert, Karl Wilhelm u . a.[*] vertreten:

"In erster Linie gehören in den Rundfunk Mitteilungen über das, was uns alle angeht, d.h. über Politik und Wirtschaft. Alles andere, Musik, Unterhaltung, religiöse Andachten usw. hat dahinter zurück zustehen."[*]

Die Argumente, die die Autoren dabei für eine Politisierung des Rundfunks ins Feld führen, sind weitgehend identisch: Angesichts der immer wieder kritisierten, oft reaktionären Tendenz der Radioprogramme, so stellen sie fest, sei die offizielle Maxime vom ‘unpolitischen Rundfunk’ ohnehin nur eine "Schein-Verordnung (…) wider besseren Wissens"[*]; zudem werde sie auch den Möglichkeiten des Mediums nur unzureichend gerecht und sei daher "unter Berücksichtigung der ganzen Verhältnisse unsinnig"[*]. Schon um "interessant" zu sein, so meint jetzt z.B. selbst Jacob Blauner[*], verlange der Rundfunk "mehr (…), als Musik und Literatur ihm bieten können"; nämlich: "Berichte, die sich mit den Ereignissen des Tages, den Tagesfragen befassen." Erst in der "höchstmöglichen Identität der Aktualität des Mittels (Technik) und der Aktualität des Inhalts (Programm)", so auch Klaus Neukrantz[*], finde das Medium ein "gewisses organisches Optimum":

"Das Radio als modernste, volkstümlichste Erfindung der Gegenwart kann sich, wenn es die Aufgabe, die einfach ideologisch ihrer (recte: seiner) Erfindung zugrunde liegt, erfüllen will, gar nicht den Strömungen und Forderungen unserer Zeit entziehen. Kulturell und wissenschaftlich, politisch und künstlerisch bilden in den Hauptrichtungen die politischen Parteien die sichtbare Kristallisation des großen soziologischen Umbruchs einer Zeit, die ein bestimmtes ausgeprägtes Gesicht durch Kampf und Widerstand erhalten hat. Dieses Gesicht unserer Zeit lebenswahr und ungeschminkt wiederzugeben, ist die Aufgabe des Rundfunks."[*]

Gegenüber der Programmpraxis des "rechtspolitischen, rückständigen, mittelalterliche zensurierten (Weimarer) Rundfunk(s)"[*] bedeutet Politisierung oder Aktualisierung, so wie sie hier verstanden wird, natürlich vor allem, daß auch die politischen Positionen der Arbeiterschaft, oder wie Neukrantz es formuliert, die "junge geistige aufstrebende Kraft des Sozialismus"[*] Eingang in die Programme des Mediums finden soll; und zwar nicht nur, wie man betont, als einmaliges Zugeständnis, sondern als beständige Selbstverständlichkeit:

"Es soll den Freidenkern nicht nur gütigst erlaubt sein, einmal einen Vortrag über ihre Organisation zu halten, sondern der fortschrittliche Geist des Freidenkertums, zu dem Millionen sich bekennen, soll in bestimmten, ständigen Programmteilen zum Ausdruck kommen können. Nicht nur ein Gewerkschaftsführer soll über die Gewerkschaften sprechen dürfen, sondern die Millionen der freigewerkschaftlich Organisierten müssen auch im Rundfunk eine Propagandastätte besitzen können, mit dem gleichen Recht, mit dem bisher dauernd die Arbeitgeber- und Unternehmerverbände gegen den Achtstundentag agitieren konnten usw."[*]

Mehr noch als das Konzept eines proletarischen Kulturfunks ist die Vorstellung eines politischen Rundfunks mithin mit der Forderung nach politischer "Neutralität"[*] des Mediums verbunden. Dabei wird politische Neutralität jedoch nicht, wie dies heutzutage im öffentlich-rechtlichen Rundfunk üblich geworden ist[*], als Synonym für möglichst moderate, in sich ,ausgewogene’ Berichterstattung einer nach Parteienproporz besetzten Redaktion über Politik begriffen, sondern als nur paritätische und weitgehend originale ‘Wiedergabe’ relevanter politischer und weltanschaulich-kultureller Positionen, denen das Mikrophon im Rahmen der gesellschaftlichen Gesamtveranstaltung Rundfunk im wahrsten Sinne des Wortes ‘zur Verfügung gestellt’ werden soll. Denn, so Walter Baake:

"Es gibt nur ganz wenige, eigentlich nur naturwissenschaftliche Themen, in deren schriftliche oder mündliche Erörterung nicht die persönliche, klassengebundene politische und weltanschauliche Stellungnahme des Referenten bewußt oder unbewußt hineinspielt. (…) Wo immer ein Mensch tätig ist, sei es auch als Künstler, als Wissenschaftler, stets ist er dabei Repräsentant einer Klasse, möge er sich noch soviel auf seine Unabhängigkeit einbilden. Das gilt natürlich auch für alle, die im Rundfunk Vorträge halten. Der Rundfunk kann nur insofern ‘keiner Partei dienen’, indem er allen Parteien, allen Weltanschauungen paritätisch und demokratisch das Mikrophon zur Verfügung stellt."[*]

Dabei muß die Form der politischen Darbietungen für die Autoren des NRF keineswegs auf Vorträge beschränkt bleiben, zu denen, wie etwa Tucholsky vorschlägt, ``(…) jede Partei, (…) jede Geistesrichtung ihre Redner vorschickt, paritätisch verteilt, in ständiger Abwechslung."[*] Vorstellbar sind für sie vielmehr auch ``öffentliche Diskussionen"[*], die schon von Megaphon angesprochene Direktübertragung politischer Veranstaltungen, oder auch, wie sich noch zeigen wird, das bloße Zur-Verfügung-Stellen von Sendezeit zur freien Gestaltung durch politische oder weltanschauliche Gruppierungen. Wichtig ist, ihnen nur eine, wie Klaus Neukrantz es formuliert, "wahrhaft demokratische Handhabung des Rundfunks"[*], die es ermöglichen soll,

"(…) daß die bedeutendsten gegenwärtigen Weltanschauungen und Richtungen unter Wahrung einer selbstverständlichen Sachlichkeit im Rundfunk das moderne Katheder unserer Zeit finden können ."[*]


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