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Radiobastler und Schwarzhörer:
Das widerspenstige Publikum
Das in der ersten Empfangsregelung eng geknüpfte Netz von Auflagen, Verboten
und Bedingungen, für das, wie erläutert, nur eine sehr dünne gesetzliche Grundlage
bestand, brachte allerdings noch nicht die von den Reichsbehörden angestrebte
Ordnung des Rundfunkempfangs. Bedingt durch die technische Faszination, die
weite Teile der Bevölkerung dem neuen Medium entgegenbrachten, wurde Radiohören dort, wo es möglich war, zwar noch im Winter 23/24 "nachgerade
Mode"
; der von der Post erwartete rasche Anstieg der offiziellen Teilnehmerzahlen
am Rundfunk – und damit auch die staatlichen Gewinne aus dem Unternehmen – blieben
jedoch zunächst aus, da nur die wenigsten der Radiobegeisterten die für ihr
Treiben vorgeschriebene Genehmigung erwarben. Anfang Januar 1924 waren es ganze
1580 Personen, und auch zwei Monate später, als der Sendebeginn der zweiten
Regionalgesellschaft schon unmittelbar bevorstand, war ihre Zahl erst auf 7342
angewachsen
.
Statt dessen, so mußte man im RPM schon Mitte Dezember 1923 erschrocken feststellen,
"(…) ist eine Bewegung entstanden, die gegen das Regal des reiches planmäßig vorgeht; sie wird von Leuten geleitet, die am Massenabsatz von Funkgerät unmittelbar oder mittelbar interessiert sind und die erreichen wollen, daß der Funkempfang ganz allgemein zu beliebigen Zwecken freigegeben wird. (…) Es wird ganz offen dafür Propaganda gemacht; es werden ganze Funkempfangsapparate sowie auch Einzelteile angeboten; es wird gezeigt, wie man solche Einrichtungen selbst herstellen kann, und wie man sie durch die Art ihres Aufbaus verbirgt und der Überwachung entzieht. Alles dies geschieht in einer Form, gegen die gesetzlich einstweilen nur schwer und nur unter Bekämpfung jedes Einzelfalls eingeschritten werden könnte."
Tatsächlich waren die meisten Radiohörer der ersten Stunde Amateure, die – obwohl
dies auf Basis der Postverfügung vom Oktober 23 untersagt war – mit selbstgebastelten
Empfangsgeräten und daher ohne behördliche Genehmigung an den Programmen des
neuen Mediums teilhatten. Der Grund für diese Entwicklung lag allerdings weniger,
wie hier vom RPM unterstellt, in erfolgreicher Werbung geschäftstüchtiger Einzelteilhersteller,
als vielmehr in den katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnissen bei Einführung
des Rundfunks, die weite Teile des potentiellen Publikums nach 21/2 -jähriger
Inflation und kräftigen Reallohnkürzungen in "beispielloses Massenelend" gestürzt hatten.
Selbst 1924, nachdem sich die Währung durch Ausgabe der Rentenmark wieder weitgehend
stabilisiert hatte, lag der durchschnittliche Wochenlohn eines Arbeiters mit
26,50 RM noch deutlich unter dem wöchentlichen Existenzminimums von 41,20 RM; und auch ein kleiner Angestellter verdiente mit 160 RM pro Monat gerade das,
was zum Überleben unbedingt erforderlich war
. Die Kosten die es erforderte, um gemäß der behördlichen Bestimmungen ordentlicher
Rundfunkteilnehmer zu werden, waren dem gegenüber immens
: Selbst das einfachste fabrikfertige Radiogerät, der sog. Detektorempfänger
kostete schon zwischen 70 RM und 120 RM; ein leistungsstärkeres Röhrengerät,
mit dem auch ortsfremde Sender empfangen werden konnten, sogar mehr als 300
RM. Hinzu kam noch die anfangs jährlich zu entrichtende Gebühr für die behördliche
Empfangsgenehmigung, die ab 1.1.24 nochmals 60 RM betrug, also allein schon
mehr als den halben durchschnittlichen Monatslohn eines Arbeiters verschlungen
hätte.
Da Lohn- und Gehaltsempfänger, aber auch viele Angehörige des durch die Inflation
weitgehend verarmten geistigen und gewerblichen Mittelstands unter diesen Bedingungen,
wenn sie an dem neuen Medium teilhaben wollten, darauf angewiesen waren, sich
ihre Empfangsgeräte kostengünstig selbst herzustellen, wuchs die Zahl der schwarzhörenden
Amateure im Laufe des Winters 23/24 beständig. Überall im Reich, auch dort,
wo überhaupt noch nicht gesendet wurde, entstanden zahllose Radioklubs und Funkvereine, zahlreiche Funkzeitschriften und funktechnische Sachbücher boten den Amateuren
das technische Know-how und juristische Tips zum Radiobasteln. Im Februar zählten
allein die fünf größten Amateurvereine mit "etwa 15.000" Personen
mehr als doppelt so viele Mitglieder, wie die offizielle Statistik Rundfunkteilnehmer.
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