Nächste Seite: Die Spaltung der Arbeiterradiobewegung
Aufwärts: Das Ende der überparteilichen
Vorherige Seite: Das Ende der überparteilichen
Inhalt
Die 4. Reichskonferenz der ARBD
Mit der Veröffentlichung des "Richtlinien"-Entwurfs des Reichsvorstands auf der einen Seite und der Verabschiedung der oppositionellen Gegenerklärung durch die Berliner Mitgliederversammlung auf der anderen Seite war die Spaltung der Arbeiter-Radio-Bewegung auf der inhaltlich-programmatischen Ebene bereits perfekt. Zwei Fraktionen standen sich gegenüber, deren rundfunkpolitische Konzeptionen nur noch in einem Punkt übereinstimmten – nämlich darin, daß sie beide, wenn auch mit unterschiedlicher Zielsetzung, den Kampf um eine organisatorische Umgestaltung des Weimarer Rundfunks im Interesse der Arbeiterschaft weitgehend abgeschrieben hatten. Die Sozialdemokraten hatten ihn vertagt auf einen Zeitpunkt, an dem die Arbeiterschaft und ihre Organisationen über so viel ‘politische Macht’ verfügen würden, daß sie eine Umgestaltung des Rundfunks auch kampflos durchsetzen könnten. Bis zu diesem Zeitpunkt wollte man sich und die Bewegung darauf beschränken, an dem Medium ‘mitzuarbeiten’, konkrete Programmvorschläge zu unterbreiten und auf die Berufung von Arbeitervertretern, d.h. sozialdemokratischer Funktionäre in die staatlichen Überwachungsgremien zu dringen und zu hoffen. Die Kommunisten dagegen kritisierten zwar, daß der Kampf um den Rundfunk – für sie ein Teil des Klassenkampfes gegen die Bourgeoisie – einer ‘Mitarbeit’ an den Medien weichen sollte. Der Kampf um eine Teilhabe der Arbeiterschaft und ihrer Organisationen an der Programmgestaltung des Rundfunks hatte sich für sie angesichts der Mitarbeitsbestrebungen der Sozialdemokratie jedoch auf einen Kampf um eigenständige Arbeitersender neben dem bürgerlichen Weimarer Rundfunk reduziert – eine Reduktion, die vor allem den propagandistischen Vorteil bot, sich deutlich von der sozialdemokratischen Kanalpolitik abgrenzen zu können.
Diese inhaltliche Spaltung der Bewegung konnte auch auf der 4. Reichskonferenz
des ARBD, die am 8./9. September 1928 parallel zur Funkausstellung wiederum
in Berlin stattfand, nicht wieder rückgängig gemacht werden. Da keine der beiden
Seiten mehr zu inhaltlichen Kompromissen bereit war, blieb hier nur noch die
Machtfrage zu klären, die allerdings bereits entschieden war, nachdem die Konferenz
sich konstituiert hatte. Die in dem Protokoll verzeichneten Abstimmungsergebnisse
jedenfalls lassen über die Mehrheitsverhältnisse keinen Zweifel: 25 bis 26 der
41 anwesenden Delegierten unterstützten fast durchweg die Anträge des Reichsvorstandes;
ganze neun die der Opposition.
Die Auseinandersetzung um die bisherige und künftige Politik des Vereins geriet
dann auch weitgehend zum bloßen Schlagabtausch der bekannten Positionen, wobei
die Argumentationslinie des Reichsvorstandes sich bereits in dem schriftlich
vorgelegten "Allgemeinen Geschäftsbericht" abgezeichnet hatte. Nochmals war hier klargestellt worden, daß man die Forderung
nach eigenständigen Arbeitersendern vorerst als nicht aktuell erachtete, daß
es vielmehr vor allem darum gehen müsse, die Berufung von Arbeitervertretern
in die Kulturbeiräte und politischen Überwachungsausschüsse durchzusetzen, und
über diese Gremien sowie die Arbeiterprogrammausschüsse auf die Programmgestaltung
des Weimarer Rundfunks Einfluß zu nehmen. Verwiesen wurde dabei auf die bisherigen
Erfolge dieser Strategie: Zum 1. Mai sei es gelungen, fast alle Sender zur Übertragung
"besonderer, auf die Bedeutung des Tages bezugnehmender Darbietungen"
zu veranlassen; ebenso sei die Verfassungsfeier am 11. August von fast allen
Sendern übertragen worden und die Genossen Frisch, Segall und Horlitz hätten
sogar in verschiedenen Sendern zum Thema "Arbeiterschaft und Rundfunk"
sprechen können. Als wesentlicher Fortschritt wurde hier zudem der Umstand gewertet,
daß mittlerweile die Programme der meisten Sender eine sog. "Stunde
der Arbeit" aufwiesen, eine Sendereihe, die zwar nicht von der Arbeiterschaft
gestaltet wurde, sich jedoch mit Themen der Arbeitswelt beschäftigte
. Für den Vorstand war dies ein Indiz für eine zunehmende Öffnung des Rundfunks
gegenüber den Interessen der Arbeiterschaft:
"Im Allgemeinen läßt sich heute feststellen, daß die Sendedirektionen durchaus nicht abgeneigt sind, auf Programmforderungen der Arbeiterschaft einzugehen, ein Zustand, der vor Jahresfrist auch nicht im entferntesten vorhanden war."
Dieses durchweg positive Bild des schriftlichen Geschäftsberichts mußte Albert
Horlitz, der Vorsitzende der Programmkommission in seinem mündlichen Bericht allerdings etwas einschränken. Zwar hatte mittlerweile der Vorsitzende des
Vereins, Curt Baake, Sitz und Stimme im Kulturbeirat der Deutschen Welle erhalten
; nach wie vor, so mußte Horlitz einräumen, seien jedoch in den Sendegesellschaften
und ihren Kulturbeiräten "(…) nur hie und da Männer zu finden, deren
Namen in der Arbeiterschaft einen guten Klang haben"
. Zudem herrsche sowohl in der RRG als auch den von ihr abhängigen Unternehmungen
immer noch ein "weisungsvoller Geist der geistigen Fürsorge und Bevormundung"
, den es zu bekämpfen gälte, der zugleich aber auch der "wundeste Punkt"
sei, an dem man rühre:
"Diese Bevormundung dürfen wir uns unter keinen Umständen gefallen lassen. Die Art, wie jetzt Zensur geübt wird, können wir uns auf Dauer nicht gefallen lassen."
In der Aussprache über den Geschäftsbericht zeigten sich die Vertreter des Vorstandes
dann jedoch wieder weitgehend zufrieden mit dem bisher Erreichten. Richardt
Woldt – Ministerialrat im Preußischen Kultusministerium und ‘Arbeitervertreter’
im Kulturbeirat der Berliner Funkstunde, der mittlerweile als Beisitzer in den
Reichsvorstand mit aufgenommen worden war – meinte sogar, daß man zahlenmäßig mit der Vertretung des ARB in den Kulturbeiräten
bereits "durchaus zufrieden"
sein könne. Auch der Zensur wollte er eher Positives abgewonnen wissen, denn
oft genug hätten Redner noch nicht begriffen. "(…), daß man im Radio
keine Agitationsreden halten kann"
.
``(…) wenn ein Sozialist im Radio spricht, muß er auch die Fähigkeit haben, über den Kreis seiner Gesinnungsfreunde hinaus zu wirken. Er muß im Stande sein, ein Thema analytisch und soziologisch anzupacken, so daß er den Sendegesellschaften keinen Vorwand bietet, seinen Vortrag abzulehnen."
Ein solch geradezu ‘wissenschaftlicher’ Kampf um die Zensur war für die Vertreter
der Opposition natürlich nicht akzeptabel. Sie forderten stattdessen, wie Heintze
(Berlin) es formulierte, "absolute Freiheit":
"Wir wollen so sprechen können, wie es der Prolet versteht. Für unsere Referenten müssen wir auch am Mikrophon die volle Redefreiheit durchsetzen."
Auch die vom Reichsvorstand gefeierten – freilich eher schmalen – Erfolge seiner
Politik ließ man hier nicht gelten. Man habe beim Reichsvorstand, so stellten
etwa die Stuttgarter Delegierten Ernst und Janus fest, die "große Linie
und Initiative" vermißt. Man dürfe den "Kampf um unsere kulturellen Forderungen"
nicht davon abhängig machen, welche Regierung "am Ruder" sei
. Kulturfragen seien vielmehr "Machtfragen"
und müßten ungeachtet der Erfolgschancen auch als solche behandelt werden:
"Unter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung werden wir nie den Rundfunk voll für uns erobern können. Wir müssen aber unablässig den Kampf gegen die Macht führen, um die Massen der Radiohörer gegen den bürgerlichen Rundfunk zu mobilisieren. Der ARB muß eine Kampforganisation sein (…)".
Der "Richtlinienentwurf" des Reichsvorstands wurde von den
Vertretern der Opposition daher als "illusionistisch" abgelehnt. "Auf den Kampf um den Arbeitersender (…)", so
formulierte der Berliner Gräfe noch einmal die Gegenposition, ``(…) darf
nicht verzichtet werden"
. Die vom Reichsvorstand angestrebte Mitarbeit in den staatlichen Überwachungsgremien
führe hingegen, so auch Heintze, zu gar nichts:
"Wir sind der Meinung, daß die Kulturbeiräte und Überwachungsausschüsse nur Hampelmänner sind. (Stürmische Protestrufe) Allein die arbeitenden Massen, die Arbeiterhörer sind die entscheidende Macht. (…) Ihr habt nichts getan, weil ja der Sozialistische Kulturbund führen soll. Wir aber fordern, daß die Macht der Arbeiterhörer mobilisiert wird. Auf Hintertreppen und durch gute Beziehung mit Ministerialräten werden wir nie Einfluß auf die Programme gewinnen."
Die Vertreter der Vorstandslinie ließen sich von dieser massiven Kritik allerdings
kaum beeindrucken. Einige Mitglieder, so reagierte z .B. Horlitz auf Heintzes
Beitrag, hätten offenbar "noch wenig Ahnung" von der Arbeit der Kulturbeiräte: "Unsere Vertreter führen einen scharfen
Kampf."
Die Forderung der Kommunisten, die für ihn darin bestand, daß "breiteste
Schichten der Hörer (…) mitarbeiten" sollten, sei hingegen ein "leeres
Schlagwort"
. Und auch der vom Reichsvorstand als Gast geladene Ernst Heilmann, der zwar
"außerhalb der Tagesordnung’’
, aber während der Debatte zu den Delegierten sprechen konnte, antwortete auf
die Kritik der Opposition mit Gegenkritik. Denn, so wußte er die Kommunisten
zu belehren:
"Das Wort vom bürgerlichen Rundfunk stimmt nicht ganz. Ich gebe zu, daß der Einfluß der Kapitalisten so auch im Rundfunk groß ist. (…) Aber den Rundfunk als rein kapitalistisch zu bezeichnen, ist falsch. Es haben Dutzende Sozialdemokraten im Rundfunk gesprochen."
Der Ausgang der Debatte entsprach den oben skizzierten Mehrheitsverhältnissen:
Mit 24 zu 9 Stimmen wurde der Richtlinienentwurf zum politischen Programm des
ARBD, im gleichen Verhältnis die noch in letzter Minute eingebrachten Änderungsanträge
der Opposition abgelehnt. Auch der neue Vorstand des Vereins, an dessen Spitze erneut Curt Baake stand,
entsprach vollständig den Wünschen der Sozialdemokraten, wobei auch diesmal
wieder einer der Kandidaten, der für den zuvor noch kommunistisch besetzten
Kassiererposten vorgesehene Draeger, erst auf der Konferenz in den Verein aufgenommen
wurde
.
Schon bei den Vorstandswahlen zeigten sich die Sozialdemokraten allerdings bemüht,
nicht zum ‘Spalter’ der Organisation zu werden. Zwar war man in inhaltlichen
Fragen nicht bereit, den Kommunisten auch nur einen Schritt entgegen zu kommen
und beanspruchte natürlich auch den Vorsitz des Vereins. Unter sozialdemokratischer
Führung und mit sozialdemokratischem Programm sollte der überparteiliche Charakter
der Organisation jedoch formal erhalten bleiben. Erneut wurde deshalb Wilhelm
Hoffmann zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt – wenn auch ohne die Stimmen
der kommunistischen Fraktion, die ihn zwar als Kandidaten für den Posten des
ersten Vorsitzenden aufgestellt hatten, seine Wahl zum Nur-Stellvertreter jedoch
nicht unterstützen wollten.
Sicherheitshalber wurde der Vorstand von der Mehrheit der sozialdemokratischen
Delegierten aber auch schon ermächtigt, ’’(…) parteipolitische Streitigkeiten
mit allen Mitteln (!) vom Bunde abzuwenden", so daß auch die Voraussetzung für eine Disziplinierung der kommunistischen
Funkfreunde gegeben war. Nicht ohne Grund beschwor Baake in seinem Schlußwort
noch einmal den überparteilichen Charakter der Bewegung:
"Der Reichsvorstand wird es sich zur Hauptaufgabe stellen, durchaus überparteilich zu arbeiten. Der ARB ist eine so gesunde und notwendige Bewegung, daß er über alle Schwierigkeiten der Parteischichtung hinauskommen muß und wird. Wir müssen in einer Art Zweckgemeinschaft zusammenbleiben. Ich bitte meine Freunde, sich immer vor Augen zu halten, daß eine Trennung das Schlimmste und Dümmste wäre, was wir tun könnten. Wir wollen kameradschaftlich zusammenarbeiten, wo es nur geht."
Nächste Seite: Die Spaltung der Arbeiterradiobewegung
Aufwärts: Das Ende der überparteilichen
Vorherige Seite: Das Ende der überparteilichen
Inhalt
site info
© 2007-2022 Klaus-M. Klingsporn | Erstellt mit webgen | Seite zuletzt geändert: März 1988 | Impressum