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Vom Bastelklub zur Kulturorganisation:
Gründung und Aufbau des "Arbeiter-Radio-Klub Deutschland e.V."
Obwohl in den letzten Jahren – zunächst in der DDR, dann aber auch in Westdeutschland - zahlreiche Arbeiten über die Arbeiterradiobewegung veröffentlicht wurden, ist die Geschichte dieser Bewegung bis heute in vielen Bereichen nur in Bruchstücken bekannt.
Die Gründe hierfür sind, wie schon Halefeldt festgestellt hat, vor allem in der eingeschränkten Quellenlage zu suchen: Da mit der Zerschlagung
der organisierten Arbeiterbewegung durch den Faschismus auch die verbandsinternen
Unterlagen der beiden Arbeiterradiovereine nahezu vollständig vernichtet wurden;
sich die Aktivitäten dieser Organisationen aber nur begrenzt in staatlichen,
zumeist polizeilichen Akten widerspiegeln, ist die Forschung in erster Linie
auf verbandseigene Publikationen und mündliche oder schriftliche Berichte noch
lebender Aktivisten der Bewegung angewiesen.
Diese beiden Quellen sind jedoch in besonderem Maße unzuverlässig. Das menschliche Erinnerungsvermögen erweist sich nur allzu oft als ungenau und nachträglich harmonisierend. Vereinspublikationen dienen in der Regel – hierauf wird im folgenden Kapitel noch ausführlicher einzugehen sein – weniger der Zeichnung eines getreuen Bildes des Vereinslebens, als der möglichst einheitlichen und wirkungsvollen Propaganda für dessen Ziele. Und auch die in diesem Fall recht umfangreichen Berichte der Politischen Polizei neigen schon aus Legitimationsgründen eher zu Über- oder Untertreibungen, als
zur realistischen Einschätzung des Beobachteten.
Trotz aller, gerade bei der Bearbeitung dieses Themas zahlreich erfolgten Griffe
in die wissenschaftspublizistische Trickkiste kann daher auf Grundlage der vorhandenen Quellen nicht mehr entstehen, als ein nur lückenhaftes Bild der Arbeiter-Radio-Bewegung, das auch in bedeutenden Einzelheiten oft eher offene Fragen als gesichertes Wissen zu bieten hat.
Dies gilt nicht zuletzt auch für die Anfänge der Bewegung und die ersten Ansätze ihrer Organisierung. Einem 1926 in der Zeitschrift des Arbeiterradiovereins veröffentlichten organisationsgeschichtlichen Rückblick zufolge, dem sich auch Hanzl und Dahl
in ihrer Darstellung kritiklos anschließen, entstanden bereits im Herbst 1923
- zu einem Zeitpunkt also, zu dem allein der Berliner Sender Programm ausstrahlte -
in Berlin, Leipzig und Chemnitz die "ersten Bastelstuben"
radiobegeisterter Arbeiter. Getragen von dem Bewußtsein, "daß der Rundfunk als neueste technische Errungenschaft den kulturellen Bestrebungen der Arbeiterschaft dienstbar gemacht werden müßte"
, hätten diese Gruppen, ähnlich den zahlreichen anderen in dieser Zeit entstandenen Radioklubs, zunächst zwar nur das Ziel verfolgt, "sich in Zeiten schwerster wirtschaftlicher Not ihre Empfangsgeräte möglichst billig und gut herzustellen"; als "erste Pflanzstätten der Gemeinschaftsarbeit der Arbeiterfunkfreunde"
hätten sie zugleich aber auch die "Grundlage zur Organisierung der
Arbeiter-Radio-Bewegung in Deutschland" geschaffen, die dann im April
und Mai 1924 erfolgt sei
. Laut Hanzl erwuchs aus ihnen sogar "sehr rasch eine Klassenorganisation
gegen das bürgerliche Radiomonopol"
.
Einen wesentlich detaillierteren Bericht über die Entstehung des Arbeiterradiovereins liefert – allerdings erst erheblich später aus der Erinnerung – der ehem. technische Reichsleiter der Organisation, Bruno Voigt. Ähnlich wie der vereinseigene Rückblick von 1926 sieht auch er das ausschlaggebende Motiv für die Gründung der Arbeiterradiogruppen in dem Interesse ihrer Mitglieder,
durch den Selbstbau von Empfangsgeräten an dem neuen Medium teilhaben zu wollen.
Seinen Angaben zufolge entstanden die ersten Gruppen jedoch erst im Frühjahr
1924 in Berlin – und auch keineswegs so naturwüchsig, wie die anderen Darstellungen es vermuten lassen. Laut Voigt ging die Initiative vielmehr von aktiven Gewerkschaftern der Berliner Ortsgruppe des Bundes der technischen Angestellten und Beamten (BUTAB) aus, die sich, um zu erfahren, "wie die Sache mit dem Sprechen funktioniert", nach Beginn des regelmäßigen Programmbetriebs "sofort um den Rundfunk gekümmert (hätten)". Durch die Feststellung, daß dies technisch "an sich (…) eine ganze einfache Sache (war)", sei man zu der Überzeugung gelangt, daß
"(…) man einen Vereins gründen (müsse), der die Sache publik macht. Denn woher sollten die Menschen auf der Welt wissen, was Rundfunk ist? Kein Mensch wußte das ja. Nur die, die schon einen Apparat hatten."
Nach einigen vorbereitenden Sitzungen gelang es den Gewerkschaftern schließlich
im März 1924, im sozialdemokratischen Vorwärts einen Aufruf zur Gründung eines solchen Arbeiterradiovereins unterzubringen.
Er fand ein derart großes Echo, daß die hierin zunächst für den 29. März in
eine Berliner Schule einberufene Gründungsversammlung wegen Überfüllung verschoben
werden mußte
. Erst am 10. April 24 im Berliner Gewerkschaftshaus kam es dann, wie Voigt
berichtet, zur Bildung der ersten Arbeiter-Radio-Klubs:
"(…) der Saal war groß genug, aber dennoch überfüllt. Einer unserer Freunde hat die kulturelle Seite vorgestellt und entwickelt, warum das Radio überhaupt notwendig ist. Und ich habe mit einem anderen Techniker Erklärungen zum Bau eines Detektorempfängers gegeben. Da haben sich einige zu Wort gemeldet und gefragt, wie das gemacht wird. Und wir haben gesagt, wir machen Skizzen (…) und dann kommen wir öfters zusammen. Jeder soll sich bemühen, Leute zusammenzukriegen und in einem Lokal ein Vereinszimmer (zu) bekommen. Dort werden wir Papiere verteilen und erklären, wie die Detektoren gebaut werden. Wir hatten im Nu acht solcher Bastelklubs in eigenen Räumen zusammen."
Aus diesen ersten Berliner Bastelklubs, denen laut Voigt noch während der Gründungsveranstaltung
"über 3000 Mitglieder" beitraten, entwickelte sich in den folgenden Monaten eine reichsweite Bewegung. Unterstützt
durch arbeitslose Mitglieder, die für den Klub "auf Reisen"
gehen konnten, entstanden "genauso wie in Berlin" auch in
Leipzig, Chemnitz, Hamburg, München und anderen Städten Arbeiterradioklubs
. In Berlin wurde neben einer Geschäftsstelle und einem Materiallager ein Sekretariat
zur Vorbereitung einer Reichsorganisation eingerichtet
und noch im September 1924 bot eine in Leipzig veranstaltete "Arbeiter-Funk-Ausstellung"
erstmals die Möglichkeit zu einem persönlichen Erfahrungsaustausch zwischen
den lokalen Gruppen
.
Forciert wurde der Organisationsprozeß im Herbst 1924 schließlich durch die
Auswirkungen der bereits im Frühjahr des Jahres von den Reichsbehörden verfügten
Neuregelung des Amateurwesens, durch die – wie bereits erläutert – erstmals auch für selbstgebastelte Empfangsgeräte Genehmigungsmodalitäten
festgelegt worden waren. Für die Arbeiterfunkfreunde wurden hierbei insbesondere
die Bestimmungen über die Genehmigung für selbstgebaute Röhrengeräten (Audionversuchserlaubnis),
deren Vergabe von der Mitgliedschaft des Bastlers in einem dem Deutschen Funkkartell
angeschlossenen Amateurverein abhängig gemacht worden war, zum Ärgernis. Spätestens
im Oktober 1924, als die behördliche Mobilmachung gegen Schwarzhörer einsetzte
waren die Arbeiterradioklubs durch diese Bestimmung nämlich – wollten sie auch
weiterhin Röhrengeräte legal bauen und benutzen können – auf das Wohlwollen
der im Kartell zusammengeschlossenen, eher bürgerlich ausgerichteten Vereine
angewiesen. Diese lehnten aus Angst vor einer Politisierung ihres Verbandes,
die ihren guten Beziehungen zu den Behörden hätte abträglich werden können,
eine Aufnahme der Arbeiterradioklubs in das Kartell im Dezember 1924 kategorisch
ab
, so daß die Arbeiterfunkfreunde bis zur Aufhebung der Genehmigungsregelung
im Herbst 1925 ihre legale Basteltätigkeit erheblich einschränken mußten. Zugleich
wurden durch diesen Schritt aber auch klare Fronten geschaffen, was dem Organisationsprozeß
der Bewegung, wie der vereinseigene Rückblick von 1926 betont, durchaus dienlich
war:
"Durch diesen Beschluß (des Kartells; d.Verf.) wurde die bürgerliche Gegnerschaft klargestellt und die Notwendigkeit einer völlig selbständigen Arbeiterradiobewegung immer deutlicher erkennbar. Von nun ab kam Kampfstimmung in die Arbeiterradiobewegung. Überall begannen die Gruppen um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen."
Seinen Ausdruck fand dieses Unabhängigkeitsbestreben auf der 1. Reichskonferenz
der Arbeiterradioklubs, die am 28. und 29. März 1925 wiederum im Berliner Gewerkschaftshaus
stattfand. Sie brachte den endgültigen organisatorischen Zusammenschluß der lokalen Gruppen
zum Arbeiter-Radio-Klub Deutschlands e.V. (ARKD) und schuf damit die
Grundlage für eine eigenständige und kontinuierliche Weiterentwicklung der Bewegung.
Einem Polizeibericht zufolge soll die Mitgliederzahl des Vereins 1926, als der Kauf von Radiogeräten
allmählich erschwinglich wurde, zwar zunächst auf 1500 zurückgegangen sein;
die Zahl der Ortsgruppen des ARKD, die nach dessen "Satzungen"
in 45, den Oberpostdirektionsbezirken entsprechenden Bezirksgruppen zusammengefaßt
waren
, konnte gleichzeitig jedoch beständig gesteigert werden. Bereits zum Jahresende
1925 war ihre Zahl auf über 70 angewachsen; ein Jahr später waren es schon mehr
als 100 Gruppen, und bis zum Sommer 1928 hatte der Verein nach eigenen Angaben
"etwa 8000 Mitglieder" aus 150 Orten in 205 Ortsgruppen organisiert
.
Wie viele andere Arbeiterkulturorganisationen der Weimarer Republik war der
ARKD bis zu seiner Spaltung im Sommer 1929 ein überparteilicher Zusammenschluß,
dem neben parteilosen sowohl sozialdemokratisch als auch kommunistisch orientierte
oder organisierte Funkfreunde angehörten. In den ersten Jahren befanden sich unter den führenden Funktionären des Vereins
- von wenigen Ausnahmen, wie dem schon erwähnten technischen Reichsleiter der
Organisation, Bruno Voigt, abgesehen – allerdings hauptsächlich Mitglieder der
KPD, wie der erste kommissarische Vorsitzende Ewald Blau, der auf der 1. Reichskonferenz
gewählte erste ordentliche Vorsitzende und ehem. Reichstagsabgeordnete Wilhelm
Hoffmann, sein Stellvertreter Paul Kiessig oder der in einem Polizeibericht
als "intellektueller Leiter" der Organisation charakterisierte
Erich Heintze
.
Die Aktivitäten des Vereins zielten zu einem wesentlichen Teil, wie schon die
ersten lokalen Radioklubs, auf die technische Aneignung des neuen Mediums. Technische
Kurse und Vorträge, z.B. über den Detektorempfang mit Niederfrequenzverstärkung
und Lautsprecherbetrieb, wurden organisiert. Neben zahlreichen kleineren Bastelschauen der Ortsgruppen
veranstaltete der ARKD einmal im Jahr eine zentrale Arbeiter-Funk-Ausstellung,
auf der die selbstgebastelten Geräte einem größerem Publikum vorgestellt wurden;
und ab Herbst 1926 war er auch regelmäßig auf der offiziellen Berliner Funkausstellung
mit einer eigenen Koje vertreten
. Im Zentrum der technischen Vereinsaktivitäten standen allerdings die regelmäßigen
Bastelabende der Ortsgruppen, die meist einmal wöchentlich in Gaststätten, Privatwohnungen
oder Volkshäusern stattfanden und auf denen es den Arbeiterfunkfreunden schon
bald nicht mehr nur darum ging, möglichst preiswert in den Besitz von Radiogeräten
zu gelangen. Viele von ihnen entwickelten sich vielmehr – wenn man den Erinnerung
noch lebender Beobachter glauben darf – zu "wirklichen Enthusiasten
des Radios"
, für die aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit, Geräte selbst zu bauen, ein
Freizeitvergnügen geworden war:
"(…) wir suchten nach immer anderen Möglichkeiten sowohl im Aufbau der Schaltungen als auch in der äußeren Gestaltung der Geräte. Es wurde immer wieder einmal etwas anderes probiert: Spulen wurden anders gewickelt, Schaltungen verändert – und das alles rein gefühlsmäßig, wenigstens zum größten Teil, denn nur selten zeichneten wir eine Schaltung erst.
Neben der Unterstützung dieses Basteleifers vieler Arbeiterfunkfreunde verfolgte
der ARKD in wachsendem Maße aber auch medien- und kulturpolitische Zielsetzungen.
So hatte schon die konstituierende 1. Reichskonferenz ein "Manifest
an das internationale Proletariat" beschlossen, das neben der Bildung
einer Arbeiter-Radio-Internationale auch die Freilassung und Straffreiheit für
die im französisch besetzten Ruhrgebiet wegen illegalen Radiohörens verhafteten
Amateure forderte. Und auch in den von dieser Konferenz verabschiedeten Satzungen des ARKD waren
erste, wenn auch noch sehr allgemein gehaltene, politische Ziele formuliert.
Im § 2 heißt es hier:
"Der Arbeiter-Radio-Klub bezweckt:
a. den Zusammenschluß der am Radiowesen interessierten werktätigen Bevölkerung Deutschlands;
b. den Rundfunk in den Dienst der kulturellen Bestrebungen der Arbeiterschaft zu stellen; (…)
d. den Mitgliedern auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und unter Berücksichtigung der öffentlichen Verkehrsbelange die Möglichkeit zur praktischen Betätigung auf dem Gebiete der Funktechnik zu schaffen;
e. die Einwirkung auf die das Radiowesen berührende Gesetzgebung und die Einflußnahme auf alle Unternehmungen am Sender und Sendeprogramm (…)"![]()
Bedingt vor allem durch finanzielle und organisatorische Probleme waren die
Möglichkeiten zur Umsetzung dieser hochgesteckten politischen Aufgaben und Ziele
anfänglich allerdings eher beschränkt. Bereits im Herbst 1924 war z.B. ein erster
Versuch zur Herausgabe einer eigenen Funkzeitschrift, des Arbeiterfunks nach
nur zwei Ausgaben gescheitert, da es nicht gelungen war, ihren Vertrieb entsprechend
der finanziellen Kapazitäten des Vereins zu organisieren. Und selbst im April 1926 mußte der bereits erwähnte verbandseigene Rückblick
noch feststellen, daß
"(d)ie Bewegung (…) noch heute an den bekannten Kinderkrankheiten, wie bisher jede proletarische Organisation, an Mangel an Zeit der leitenden Mitglieder, an Geld und an fachwissenschaftlichen Kräften (leidet)."
Stark behindert wurde die kulturpolitische Arbeit des ARKD anfangs aber auch
durch die "mangelnde ideologische Unterstützung", die der Radiobewegung von Seiten der anderen Arbeiterorganisationen zuteil
wurde und die für den Verein noch lange Zeit einen Grund zur Klage darstellte.
Noch Anfang 1928 mußte z.B. der Berliner Funkfreund W. Scheffel feststellen:
"Es ist jetzt leider immer noch Tatsache, daß unsere Radiogenossen in den anderen Arbeiterorganisationen als recht eigentümliche Käuze und Sonderlinge betrachtet werden. Man nimmt schlechthin an, die Beschäftigung mit dem Rundfunk sei eine bessere Spielerei, die sich für den klassenbewußten Arbeiter ganz und gar nicht lohnt, die ihm nur Zeit wegnimmt."
Auf Skepsis gegenüber ihren Bestrebungen trafen die Arbeiterfunkfreunde vor
allem bei den beiden großen Arbeiterparteien. Jahrelang mußte der ARKD eine
regelrechte "Gegnerschaft der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften" konstatieren und konnte sich keineswegs, wie A. Diller glaubt, "gestützt
auf (…) zahlreiche sozialistische Organisationen (…) seine Ziele zu verwirklichen
(suchen)."
Während die Sozialdemokratie die Bewegung aber immerhin noch zur Kenntnis nahm,
und im Vorwärts sowohl die Gründung der Berliner Radioklubs angekündigt,
als auch über die Reichskonferenzen des ARKD kontinuierlich berichtet wurde
, standen weite Teile der KPD den Aktivitäten anfänglich vollständig ablehnend
gegenüber.
Der Grund für diese ablehnende Haltung lag dabei in der von relevanten Teilen
der Partei zunächst vertretenen Auffassung, daß der Rundfunk in erster Linie
als ein neues "Werkzeug der politischen Reaktion" zu betrachten und ein Bemühen um seine Nutzung für die kulturellen Bestrebungen
der Arbeiterschaft daher von vornherein illusorisch sei. So stellte z.B. Karl
Grünberg schon in einer der ersten Stellungnahmen, die die Rote Fahne
nach anfänglichem Schweigen
im November 1924 zum Thema Rundfunk veröffentlichte, fest:
"So erfreulich dieser Triumph menschlicher Wissenschaft und Technik sein könnte, so verhängnisvoll ist der Mißbrauch, der von der herrschenden Klasse damit getrieben wird. (…) Da der Rundfunk in Deutschland Staatsmonopol ist, so wird er natürlich restlos in den Dienst der diesen Staat beherrschenden Kapitalistenklasse eingespannt. Dies geschieht bereits mit einer Unverfrorenheit, die nicht länger unwidersprochen hingenommen werden kann."
Ausschlaggebend für die hier formulierte Position, die sich ähnlich in vielen
anderen Stellungnahmen der Roten Fahne wiederfand, war weniger der Mißbrauch des neuen Mediums durch die herrschende Klasse selbst,
der auf Basis des Staatsmonopols eher als `natürlich’ angesehen wurde, als vielmehr
die ebenfalls aus dem Staatsmonopol resultierende Unmöglichkeit, dem bürgerlichen
Mißbrauch mit adäquaten Mitteln widersprechen zu können. Den Autoren der Roten
Fahne erschien daher eine positive Nutzung des Radios in der bestehenden Gesellschaft
ausgeschlossen. Nur durch und erst nach der proletarischen Revolution, so ihre
Devise, könne der Rundfunk in den `Dienst des Fortschritts’ gestellt werden:
``Gegenüber der verdummenden bürgerlichen Presse setzen wir die kommunistische Presse. Auf bürgerliches Theater und Kino können wir mit proletarischem Theater und Kino antworten. Aber darin liegt ja eben die große Gefahr des Radios, daß man weder Zwischenrufe machen, noch mit eigenem Sender antworten kann. (…) Das Proletariat wird nach der Machtübernahme diese von den heute Herrschenden mißbrauchte technische Errungenschaft restlos in den Dienst des menschlichen Fortschritts stellen. (…) Heute aber müssen wir den Rundfunks als das betrachten, was er ist: ein mächtiges Werkzeug der Reaktion in den Händen der kapitalistischen Gesellschaft."
Auf Grundlage dieser Einschätzung, die eher auf eine Propaganda des Nicht-Hörens,
denn auf das Bemühen um eine, ohnehin erst nach der Revolution mögliche Veränderung
des Rundfunks zielte, konnte eine Unterstützung radiobastelnder Arbeiter, die
das Medium schon in der bürgerlichen Gesellschaft den Interessen der Arbeiterschaft
dienstbar machen zu können glaubten, natürlich kaum sinnvoll erscheinen. Eher
schon resultierte hieraus eine Art von `ideologischer Unterstützung’, die ein
kommunistischer Reichstagsabgeordneter im April 1925 vorführte, als er gleich
mit der Zerschlagung des "neuen Radio-Ladens" drohte, da dieser
"nur die Genossen von der Parteiarbeit ab(hält)" .
Trotz solch’ drastischer Ablehnungsbekundungen gelang es der Radiobewegung mit
ihren zahlreichen kommunistischen Funktionären bei der KPD jedoch – anders als
bei der in dieser Hinsicht eher zögernden SPD – letztlich relativ schnell, Anerkennung und Unterstützung für ihre Bestrebungen
zu finden. Beigetragen haben dürfte zu dieser Entwicklung die Tatsache, daß
die Arbeiterfunkfreunde schon früh den in der Roten Fahne vertretenen Ansichten
entgegentraten und Notwendigkeit eines politischen Kampfes um das Medium propagierten.
Noch im November 1924 antwortete z.B. ein kommunistischer Funkfreund in einem
Leserbrief auf die von Grünberg formulierte Position:
"Wir unterschreiben ganz diese Ausführungen, sind aber der Auffassung, daß das Proletariat nicht ruhelos zusehen darf, daß Tausende evtl. Abertausende auf diese Art die zusammenbrechende Kultur eingepumpt kriegen. (…) Die Arbeiter haben (…) dafür zu sorgen, daß es dem ungeheuren technischen Fortschritt nicht so geht, wie es dem elektrischen Licht und dem Telefon gegangen ist, die sich nur die unproduktiven Teile der heutigen Gesellschaft zu Nutze machen. (…) Für die breite Masse ist der Rundfunk nicht bloß Spielerei, nicht Fimmel. Wir erkennen in ihm die größte Möglichkeit, den Werktätigen Wissen und Aufklärung zuteil werden zu lassen. (…)
Wir sind uns darüber klar, daß keine Aktiengesellschaft es verwirklicht. Gebt uns eigene Sender! – Erringt sie Euch!
Harte Kämpfe werden um dieses kulturverbreitende Instrument ausgefochten werden. Einig und geschlossen werden sich die proletarischen Schichten und ihre Organe um den Arbeiterradioklub scharen, um den Rundfunk in ihren Dienst zu stellen."
Größere Wirkung zeigten solche Appelle allerdings erst nach dem Reichspräsidentschaftswahlkampf im April 1925, in
dessen Verlauf dem kommunistischen Kandidaten Thälmann im Gegensatz zu seinen
bürgerlichen Konkurrenten ein Rederecht im Rundfunk verweigert worden war
. Zwar sah sich die Rote Fahne durch dieses Ereignis in ihrer ablehnenden
Haltung gegenüber dem Rundfunk zunächst noch bestätigt und hoffte mit Blick
auf die Arbeiterfunkfreunde, daß
"(d)iejenigen Proleten, die sich bisher noch von der `neutralen’ Kunst dieses Masseneinschläferungsinstuments täuschen ließen, (…) aus diesem Verbot allerhand gelernt haben (…)."
Ausgehend von der kommunistischen Reichstagsfraktion begann sich jetzt jedoch
innerhalb der Partei ein Bewußtsein über die Notwendigkeit einer aktiven Rundfunkpolitik
durchzusetzen. Bereits Ende April sprach der Vorsitzende der Fraktion in einer
Rede vor dem Reichstag erstmals von dem "Recht für die Arbeiter, sich
ihre Programme selbst zu gestalten" und forderte vom RPM die "Konzessionierung
(…) auch von Arbeiterradiovereinen, Arbeiterradioklubs zur Aufstellung von
Sendern". Einige Monate später reif auch die Rote Fahne dazu auf, "in
Gemeinschaft mit der proletarischen Funkhörerorganisation der Arbeiter-Radio-Klubs"
den Kampf um "eigene Sender" aufzunehmen
. Und im November 1925, gerade ein Jahr nachdem Grünberg hier eine Veränderung
des Rundfunks auf die Zeit nach der Revolution vertagt hatte, fand sich in dem
Parteiorgan schließlich die endgültige Revision ihrer bisherigen Position:
"Millionen Menschen" – so war hier jetzt zu lesen – "können durch das Radio erfaßt werden und selbst Regionen, die heute noch durch den Drahttelegraphen unerreichbar sind, können durch Radio wirksam beeinflußt werden. (…) So betrachtet – und wir können und dürfen diese Frage nicht anders betrachten - ist es uns nicht gleichgültig, ob nicht die Möglichkeit besteht, dieses Monopol der Bourgeoisie zu durchbrechen, und schon jetzt – unter der politischen Herrschaft der Bourgeoisie – um den Einfluß der Arbeiterschaft aus das Radio zu kämpfen."
Die Anerkennung und Unterstützung, die dem ARKD als `proletarischer Funkhörerorganisation’
nach diesem Gesinnungswandel der KPD wenigstens von einer der großen Arbeiterparteien
zuteil wurde, forcierte hier die Bemühungen um eine Konkretisierung der in der
Satzung ja noch recht allgemein gefaßten medien- und kulturpolitischen Vorstellungen.
Seinen Ausdruck fand dies auf der 2. Reichskonferenz der Organisation, am 6.
und 7. März 1926, an dem zum ersten Mal auch Vertreter der österreichischen,
tschechischen und russischen Arbeiterradioorganisationen teilnahmen. Anders als noch im Jahr zuvor wurde hier nicht nur allgemein die "Großmachtstellung
des Rundfunks" und die sich hieraus ergebende Notwendigkeit eines Kulturkampfes
um das Medium, der sog. "Kulturkampfgedanke" betont
; darüber hinaus diskutierten die Delegierten hier erstmals auch konkrete Forderungen
zur Radiogesetzgebung und Programmgestaltung
. Den Anlaß hierzu bildete ein vom Reichsvorstand ausgearbeitetes Grundsatzpapier,
die sog. Richtlinien zur Organisierung des ARKD
, die den Delegierten bereits vor der Konferenz zugegangen waren und deren Intention
Wilhelm Hoffmann auf einer Berliner Mitgliederversammlung im Mai 1926 folgendermaßen
erläuterte:
"Viel mehr als bisher müssen wir in der Arbeiterschaft propagieren, daß der Rundfunk keine Spielerei ist, daß er das größte Beeinflußungsmittel wird, weil das gesprochene Wort eindrucksvoller als das gedruckte ist, besonders auf Frauen und Kinder. (…) Der Rundfunk muß für die Arbeiterklasse erobert werden, auf daß er das Kulturideal der Arbeiterklasse verbreiten helfe. Mit den Brosamen der meist reaktionären Herrschaften in den Sendegesellschaften dürfen wir uns nicht bescheiden. Wir wollen mit unseren Gewerkschaften und Kulturorganisationen Funkgesellschaften gründen; wir fordern an drei Abenden der Woche die Sender, in erster Linie den Deutschlandsender, für reine Arbeiterprogramme. (…)
Energisch müssen wir auftreten, unsere Funkfreunde müssen sich als neueste Kampftruppe, als Pioniere auf diesem Gebiet der allgemeinen Arbeiterbewegung betrachten, in welcher die Kulturfrage nicht die besondere Rolle spielt, wie gerade in der Arbeiter-Radio-Bewegung."
Zu einer Beschlußfassung über die Richtlinien oder über die Forderung nach Arbeitersendern,
wie sie Hanzl hier zu lokalisieren glaubt, kam es nach dem mir vorliegenden Material auf der 2. Reichskonferenz jedoch
nicht. Um die Organisation in die Lage zu versetzen, ihre ‘Pionieraufgabe’ zu
bewältigen, beschlossen die Delegierten vielmehr, ein politisches Programm des
ARKD auszuarbeiten, das als "Orientierungszeichen für alle proletarischen
Rundfunkhörer"
die gemeinsamen Forderungen zusammenfassen und sowohl die Strategie für eine
Einflußnahme auf den Rundfunk, als auch die ideologische Ausrichtung des Vereins
erst noch festlegen sollte. Einen detaillierten Entwurf hierzu sollte eine zu
diesem Zweck eingerichtete Kommission unter Leitung des kommunistischen Chemnitzer
Funkfreundes Ludwig Kühn bis zur 3. Reichskonferenz erstellen
. Alle Mitglieder waren jedoch aufgerufen, daran mitzuwirken:
"Wie soll nun (…) ein solches Programm geschaffen werden? Soll es ausgetüfftelt werden beim Schein einer Studierlampe im stillen Kämmerlein? Nein! Auch hier wird, was auf allen Gebieten der modernen Arbeiterbewegung gilt, das pulsierende Leben dem Werdenden Inhalt und Form geben. Wir werden auch in diesem Fall, wie bisher, uns auf die eigene Kraft verlassen. Die ganze Mitgliedschaft soll mithelfen. (…) Funkfreunde, es gilt am neuen Werk zu bauen!"
Die Erarbeitung des politischen Programms, das letztlich erst im Herbst 1928
unter gänzlich anderem Vorzeichen beschlossen werden sollte, führte so innerhalb des ARKD zu einer breiten Diskussion über die medien-
und kulturpolitischen Aufgaben und Ziele der Organisation und machte die konkreten
Fragen eines Kulturkampfes um den Rundfunk zum Gegenstand zahlreicher Mitgliederversammlungen
und Bezirkskonferenzen
.
Einen Monat nach der Reichskonferenz gelang es dem Verein zudem, erneut – und
diesmal kontinuierlich – eine eigene Zeitschrift herauszubringen, die neben einer
umfangreichen und kommentierten Programmvorschau, verbandsinternen Mitteilungen
und einer technischen Beilage auch Radionachrichten aus dem In- und Ausland
sowie grundsätzliche Beiträge über den Rundfunk und seine Bedeutung für die
Arbeiterschaft enthielt. Unter dem programmatischen Titel Der neue Rundfunk.
Funkzeitschrift des schaffenden Volkes erschien sie ab 4. April 1926 wöchentlich
zum Preis von 20 Pfennigen im Berliner Verlag C. Jarniszewski und verlieh dem Verein endgültig das Gesicht einer Kulturorganisation.
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